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[   Band 3 Brief 214:    Humboldt an Caroline    Berlin, 28. Julius 1810   ]


war. Allein ich bin in mir gewiß, daß es als Vorwurf gegen
mich ganz ungegründet ist. Jeder Mensch hat notwendig eine
innere Bestimmung, wenn auch nicht jeder so glücklich ist, sie bald
und immer zu finden. Die meinige ist nun, wie ich deutlich und
immer gefühlt habe, durch sehr verschiedene Lagen zu gehen, tiefer
und mannigfaltiger als andere, alles Menschliche zu kennen und
zu empfinden und mit dieser inneren Einheit und Selbständigkeit
mich vielem und verschiedenartigem Wirken anzubilden. Es ist
doch darum nicht gesagt, daß nicht äußerer Nutzen auf vielfache
Weise daraus hervorgehen sollte. Er ist es doch schon bis jetzt,
vorzüglich in diesem letzten Jahr, und dann berechnet man immer
zu wenig das, was die bloße menschliche Existenz in einer be-
stimmten, konsequenten Art wirkt.
Auch mein äußeres Glück hat bei dieser Art zu sein bis
jetzt immer noch gewonnen. Jede Hauptwendung unseres Schick-
sals, wie ich zuerst den Dienst verließ, wie wir auf Reisen
gingen, wie ich den römischen Posten annahm, wie ich meinen
vorigen einging, alle diese Schritte konnten und mußten bedenklich
scheinen und fanden manchen Widerspruch, bis jetzt aber haben
wir uns immer gut herausgewunden, und es ist das also ein
deutlicher Beweis, daß ich mehr Talent habe, eine gegebene
Lage zu benutzen, als eine selbst und mit Fleiß zu schaffen. Ich
muß daher fortfahren, mich gewissermaßen hinzugeben, die Einheit
im Wechsel, die Selbständigkeit in der Nachgiebigkeit zu finden,
wirkliche Macht und Herrschaft aber immer nur durch den Einfluß
auszuüben, den man durch das innere Sein, wie es sich ankündigt,
haben kann. Daran muß man aber unablässig arbeiten, und dies
innere Rückwirken auf sich selbst muß nie einen Stillstand erleiden.
Je mehr und leichter die verschwindende Jugend zu Starrheit und
Eintönigkeit führt, desto mehr muß man Frische und Neuheit in
sich erhalten, nur immer wenig zu erwarten und Unendliches noch

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