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[   Band 3 Brief 172:    Humboldt an Caroline    Berlin, 17. März 1810   ]


172. Humboldt an Caroline                    Berlin, 17. März 1810

Ich habe die letzte Woche sehr eingezogen gelebt und schränke
meine Gesellschaften immer mehr ein. Ich gehe fast nur
hin, wo ich gebeten werde, und zur Prinzessin Luise *), die
aber noch krank ist, und zur jungen Voß. **) Das Bitten wird nach
und nach auch einschlafen, wenn ich nicht Besuche mache, und es
wäre mir sehr erwünscht, wenn es geschähe. Meine Geschäfte,
wenn ich sie auch schnell und leicht abmache, sind sehr zahlreich,
allein vorzüglich ziehe ich mich zurück, um, wenn Du kommst, mehr
zu Hause zu sein. Ich begreife noch gar nicht, wie ich in den
ersten Wochen es über mich gewinnen werde, Dich nur auf Stunden
zu verlassen. Ich liebe Dich so unendlich, mein einzig, einzig
teures Herz, und bin seit einigen Tagen, ohne selbst recht zu wissen
warum, tief im Innern wund und wehmütig gestimmt, aber klar
und still dabei. Man pflegt zu sagen, daß das die Frühlingsluft
macht, und wohl erschließt sich die Brust freier in ihr. Aber es
ist nicht eine neue von außen eingehauchte Stimmung, die mildere
Luft macht das Herz nur reger und lebendiger und gibt es mehr
sich selbst zurück. Man würde, wenige Momente ausgenommen,
immer wehmütig gestimmt sein, wenn man immer sein besseres
Wesen ganz empfände, wenn nicht Zerstreuung und Arbeit bald
hier-, bald dorthin risse. Denn an sich ist das Leben verwundend,
und man vergißt es nur, wie man auch vergißt und verlernt, daß das
Odemholen eine Last ist. Es ist sicherlich nicht, daß ich unglücklich
wäre. Ich bin vielmehr sehr, sehr glücklich, ich habe, durch eigene
Natur geleitet und durch Gewohnheit geübt, mich dahin gebracht,
immer mein eigentliches Leben nur in einem Gefühle zu suchen,
und da dies eine Gefühl nur Du bist, Du verwebt in alles, was

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*) Vgl. S. 135. — **) Vgl. S. 106.

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