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[   Band 3 Brief 50:    Humboldt an Caroline    Berlin, 4. März 1809   ]


laufen Gerüchte in der Stadt, die aber vermutlich falsch sind,
daß die Österreicher in Sachsen eingefallen wären. Das ist für
einen, der friedfertige Universitäten organisieren soll, keine lieb-
liche Lage.
Frau v. Berg *) ist wieder hier mit ihrer Tochter, der Gräfin
Voß. Daß die Mutter nicht hübsch ist, wie sie auch eigentlich nie
war, ist kein Wunder. Aber die Tochter ist schrecklich häßlich ge-
worden, so mager, so dürftig, so verzogen im Gesicht. Wir haben
neulich bei Tisch einen großen Streit über Prinz George **) gehabt.
Die Voß sprach ihm gegen die Mutter auch allen möglichen Kunst-
sinn rein ab. Ich habe ihn doch einigermaßen verteidigt, obgleich
ich mich im Herzen wohl erinnerte, was wir manchmal selbst in
Rom sagten. Allein jeder, der auch nur einen Tag in Rom
gewesen ist, muß immer gerettet werden, gegen alle, die St. Peter
nie gesehen haben, und die man nie anders wie Barbaren be-
handeln muß. Die Berg ist überaus zuvorkommend gegen mich
und im ganzen ist mir ihr Hiersein angenehm.
Ich bin jetzt in dem Umfang meiner neuen Geschäfte und
fange wieder an, sehr besucht zu werden. Die Klienten sind ohne
Zahl, alle nicht vom edelsten, aber vom dringendsten Beweggrund,
dem Mangel getrieben. Die Geldnot ist entsetzlich. Die meisten
Leute nehmen Geld zu 15 Prozent auf. Ich für die Schulen
verzweifle dennoch nicht. Ich habe einen großen Plan, die Schulen
blos von der Nation besolden zu lassen. Die ist doch zu kleinen
Abgaben noch so arm nicht, und man bekommt so einen
Fonds, den selbst ein Feind einmal respektiert. Allein alle bis-
herigen kleinen Ansichten werden sich dagegen setzen, und ich werde
viel Widerspruch finden.

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*) Die bekannte Freundin der Königin Luise.
**) Prinz Georg von Mecklenburg-Strelitz, Bruder der Königin Luise.

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