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[   Band 3 Brief 87:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 20. Junius 1809   ]


der Dinge zu sehen und dann irgend einen kühnen Entschluß zu
nehmen. Denn, daß sich die Sachen so leise und sanft lösen
werden, daß man nur fortzuschlendern braucht im alten Gleise,
glaube ich nicht. Auch lasse ich unsern Lebensplan nicht länger
unentschieden, als es unumgänglich notwendig ist. Zwei gewisse
Pole sehe ich schon jetzt darin: Hier bringe ich Dich nie her, und
hier wohnen wir nie; Frankfurt a. d. O. sind die Säulen des
Herkules; die jenseits wohnen, muß man mit Homer σχετλίους 
nennen, die alles, auch das Unzuversuchende, versuchen; dort jenseit
der Alpen wohnen wir so oft und so viel wir können. Was da-
zwischen geschieht ist Not, aus der Klugheit eine Tugend macht.
Bleibt mir nur Deine Liebe, behalte ich nur Dich, so ist mir für
nichts auf der Welt bange.
Lebe ruhig und heiter, sage mir jeden stillen Wunsch, jedes
leise Verlangen und sei sicher, daß ich alles daransetze, es zu er-
füllen. Adieu! mein allerteuerstes, einzig liebes Herz.


88. Humboldt an Caroline            Königsberg, 23. Junius 1809

Ich habe gestern einen sehr süßen Geburtstag durch Deine
Liebe gehabt, mein ewig teures Kind. . .
Mit mir steht es nach der reiflichsten Überlegung so:
ich muß ehrlich gestehen, daß hier die Sachen überhaupt und mit
mir nicht so sind, daß ich gebunden wäre, und daß ich nicht mit
Recht Lust haben müßte, noch zurückzugehn. Man hat keinen
Staatsrat errichtet, zu dem ich berufen war, man läßt mich aller-
dings ganz frei, aber die anderen Geheimen Staatsräte sind es gar
nicht, und dies ist bloß Folge meiner und Dohnas Persönlichkeit.
Wenn Dohna abginge (und dies Ministerium ist so, daß es sich

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