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[   Band 3 Brief 87:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 20. Junius 1809   ]


Es ist selbst für ungeheuere Zinsen, selbst für gute Sicherheit kein
Geld zu haben. . . .
Das Wetter ist hier schrecklich, ein so kalter Regen, daß viele
wieder einheizen und ich wieder in völliger Wintergarderobe gehe.
Es ist hier auch nur eine Stimme darüber, daß es in diesem Lande
nur eine schöne Jahreszeit gibt — den Winter. Sonst führen alle
Menschen ihr einförmiges Leben auf eine so schrecklich langweilige
Weise fort, daß man wirklich keinen Begriff hätte, wie sie’s aus-
zuhalten vermöchten, wenn man es nicht mit ihnen aushielte. Ich
vergehe aber auch manchmal wenigstens zur Hälfte, und nehme
dann irgend ein außerordentliches Vergnügen vor, was sich aber
auch höchstens bis auf eine schlechte Komödie oder ein Puppen-
spiel bringen läßt. Dabei bleibt der Geschäfte wegen sogar sehr
wenig Zeit für etwas anders als Geschäftsarbeiten und Brief-
schreiben. Hätte ich nicht einen so unerschöpflichen Fonds von
Heiterkeit und selbst von Amüsabilität, so wüßte ich gar nicht, was
aus mir würde. Das aber rettet mich, und ich bitte Dich, nicht
bange zu sein. Während fast keiner meiner Bekannten da ist, der
nicht an Fieber oder Zahnweh oder Schnupfen leidet, bin ich
immer gesund, sehe wohl aus, ärgere und amüsiere die Leute, wie
es der Zufall gibt, und harre der Dinge und Zeiten, die da kommen
sollen. Oft freilich falle ich in tiefe Wehmut über die verlorene Zeit.
Wie schön ließen sich diese Monate, die nun mächtig zum
Jahr anwachsen, in Rom mit Dir verleben, mit wie anderem Ge-
winn für Geist und Gemüt. Ein Zusammenleben wie das unsere
ist so selten und dürfte daher nicht so lange unterbrochen sein.
Doch muß ich leider noch immer, auch für unsere Privatlage,
billigen, daß ich hier blieb. Kann ich auch für den Augenblick
wenig tun, so bin ich doch da, wenn irgend ein wichtiger Moment
eintritt, und mit Deinem Vater kann es in jedem Augenblick der
Fall sein. Kurz, es ist nichts zu tun, als zu warten, das Ende

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