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[   Band 3 Brief 12:    Humboldt an Caroline    Erfurt, den 19. November 1808   ]


wenn man nur immer anzugeben weiß, was nicht recht ist. Un-
endlich weh tut es einem, daß Goethe nicht wegen des fremden
Einflusses, sondern wegen des inneren Unwesens an allem lite-
rarischen Heil in Deutschland verzweifelt. Jeder, sagt er, will für
sich stehn, jeder drängt sich mit seinem Individuum hervor, keiner
will sich an eine Form, eine Technik anschließen, alle verlieren sich
im Vagen, und die das tun sind wirklich große und entschiedene
Talente, aus denen aber eben darum schlechterdings nichts werden
kann. Er versichert darum, daß er sich nicht mehr um andere be-
kümmern, sondern nur seinen Gang gehen wolle, und treibt es so
weit, daß er versichert, der beste Rat, der zu geben sei, sei die
Deutschen, wie die Juden, in alle Welt zu zerstreuen, nur aus-
wärts seien sie noch erträglich. Ich habe ihm gesagt, daß ich für
mich das schon angefangen habe, und daß er nur zu uns kommen
dürfe, um es auch an seinem Teil zu vollenden. Seinen Faust
hatte ich hier, noch ehe ich nach Weimar ging, gelesen. Er hat
vier an niemand gerichtete Zueignungsstrophen, die ich Dir, weil sie
in der Tat wunderschön sind, in Abschrift zuschicke. Darauf kommt
ein Vorspiel und ein Prolog. In diesem unterhalten sich die Erz-
engel, Gott der Vater und Mephistopheles, der die Szene mit den
Worten beschließt:
                Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,
                Und hüte mich, mit ihm zu brechen,
                Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
                So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
Dann folgt das Stück. In diesem sind nicht bloß hinten Szenen
angehängt, sondern auch in der Mitte eingeschaltet, wie z. B. die,
welche er uns vorlas. Ausgelassen ist, soviel ich ohne Vergleichung
bemerkt habe, nichts. Es sind himmlische neue Szenen, vor allem
die letzte, wo Gretchen als Kindermörderin im Kerker sitzt, Faust
sie mit Mephistopheles zu retten kommt, sie aber solche Hilfe aus-

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