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[   Band 2 Brief 101:    Humboldt an Caroline    Marino, 5. September 1804   ]


von Spanien kam, empfand ich zu viel Ungeduld und eine zu bange
Sehnsucht. Ich bleibe noch dabei, daß ich da ein inneres Vorgefühl
gehabt habe, daß wir Wilhelm nicht behalten würden. Wie schmerz-
lich ich mich da nach ihm gesehnt habe, habe ich nie ganz sagen
mögen. Jetzt, bei einer Baskenreise, wüßte ich noch so manche Stelle
anzugeben. Ich kürzte sie offenbar darum ab, und nahm mir so
fest vor, nie wieder, bis er groß sei, ohne ihn zu bleiben! Ich
träume hier sehr oft von ihm, und das und die Gegend und die
einsame Beschäftigung mit seinem Andenken haben mir sein Bild
wieder viel lebendiger zurückgeführt. Auch in Adelheid finde ich
Züge der Ähnlichkeit. Arme, liebe Li, die Überschrift Deines
Briefes hat mich wieder so tief ergriffen. Wie unendlich viel mußt
auch Du in dieser Woche gelitten haben. Aber er schläft ruhig
und wir einst bei ihm. Doch lebte er auch so glücklich, und da
ich jetzt wieder viel den Homer lese, fällt es mir immer auf, daß
in keines mir bekannten Menschen Lippen die Worte so gepaßt
hätten, die Achill zu Odysseus in der Unterwelt spricht, als in
die seinen:
ἢ πᾶσιν νεκύεσσι καταφδιμένοισιν ἀνάσσειν *)
Und doch war es vielleicht besser, daß er nur die schöne Emp-
findung des Lebens mit hinwegnahm.
Lebe wohl, teure, innigstgeliebte Seele. Umarme Theodor und
grüße Alexander und Kohlrausch.
Von Herzen und ewig der Deine. H.

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*) Als die ganze Schar vermoderter Toten beherrschen. (Odyssee XI,
V. 491.

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