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[   Band 2 Brief 101:    Humboldt an Caroline    Marino, 5. September 1804   ]


recht eigentlich habe reden und leben können, dem ich wirklich Genuß
gab und von dem ich Genuß und Stimmung zugleich erhielt. Allein,
und auch das freut mich, ich kann meinen Aufenthalt im Auslande
nicht anklagen, mich dieses Vorteils zu berauben. Schiller muß in
Weimar bleiben. Er hätte im höchsten Grade unrecht, diesen einzigen
Ort, in dem ein Mensch in seiner Lage gut existieren kann, zu ver-
lassen, und ich hätte gerade, um in Weimar zu leben, alle übrigen
Rücksichten der einen, mit ihm vereint zu sein, aufopfern müssen. Daß
er mir nicht schreibt, begreife ich, ob es mir gleich leid tut. Wenn
die Entfernung groß und die Hoffnung, wieder beisammen zu sein,
fast Null ist, so erstirbt nach und nach das Interesse an jedem
Briefwechsel. Indes wird man sich darum nicht fremd. Den Tell
habe ich noch nicht, weiß auch nicht, ob er gedruckt ist. Sonst aber
wirst Du in Mailand bei Bignami allerlei Bücher für mich finden;
kannst Du sie nicht selbst mitbringen, wie ich vermute, so laß nur
Kohlrausch besorgen, daß man sie mir schicken läßt.
Lolos leichte Niederkunft wäre wirklich hübsch, wenn sie selbst
nicht überall so schlaff wäre. Aber so, fürchte ich immer, entfährt
sie einmal sich selber bei einer solchen Gelegenheit.
Die fixen Ideen setzen sich immer ohne menschliches Zutun
durch, den Glauben lasse ich mir nicht nehmen, und so glaube ich
auch, werden wir einmal und als etabliert in Paris leben. Aber
ich schwerlich als Gesandter, wenigstens nicht leicht als preußischer.
Daran habe ich keinen Glauben. Daß ich Paris liebe, weißt Du;
es ist freilich nur die Liebe vom zweiten Grad, es leuchtet mir nur
erst ein, wenn ich dort bin, Sehnsucht von hier aus habe ich nicht
danach. Doch kann ich selbst nicht ableugnen — eine der aller-
frohesten halben Stunden, die ich je gehabt habe, war beim Herein-
fahren bei der Rückreise von Spanien mit den vier Schimmeln von
der Barriere de l’Eufa bis zum Boulevard. Da lebte auch Wilhelm
noch und hatte eine sehr liebenswürdige Periode. Als ich allein

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