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[   Band 2 Brief 46:    Humboldt an Caroline    Bilbao, 16. Mai 1801   ]


46. Humboldt an Caroline               Bilbao, 16. Mai 1801

Endlich bin ich in Bilbao, liebe Li, an dem Ort, an dem
meine Rückreise anfängt. Bokelmann hat mich gestern
verlassen und wird nun schon nah an Madrid sein, und
mir selbst kommt Paris jetzt nicht mehr fern vor. Ich bin sehr
zufrieden mit meiner Reise. Ich reise übermorgen früh hier ab, mache
noch einen neuen Weg an der Küste und durch das Land, denke mich
aber gewiß so einzurichten, daß ich noch vor dem 15. Junius in
Paris bin.
Bilbao ist außerordentlich hübsch. An zierlicher Reinlichkeit kann
man nur Cadix damit vergleichen, und von der reizenden Anmut der
Gegend ist es nicht möglich, durch bloße Beschreibung einen Begriff
zu geben. Es liegt zwischen Bergen in einem engen Tale, das sich
nur gegen das Meer hin erweitert, eingedrängt, an einem ziemlich
breiten Fluß, von Äckern, Wiesen und Gebüschen aufs lieblichste um-
geben. Von dem sehr schönen Spaziergang am Fluß, am Marktplatz,
fast von jedem Fleck in der Stadt sieht man auf die schönbekränzten
Hügel rund herum. 
Gestern besuchte ich eine sogenannte Romeria *) in der Nähe
der Stadt. Man gibt nämlich diesen Namen den Festen, womit
die Dörfer die Namenstage einiger Heiligen, besonders ihrer Schutz-
patrone, begehn.  Gestern war der Tag der heiligen Isidora. Die
Dörfer sind, wie ich Dir schon neulich schrieb, hier nur zerstreute
Häuser in einem Umkreis manchmal von ein paar Stunden, deren
Mittelpunkt die Kirche, die immer, wie klein auch die Gemeinde sei,
aus Stein und mit Aufwand gebaut ist, abgibt. Daneben haben die
meisten Dörfer ein großes, gleichfalls aus Stein gebautes Gemeinde-
haus. Zwischen diesem und der Kirche war der Tanzplatz, und aus
den Fenstern der Kirche hingen Fahnen heraus, die Feierlichkeit zu

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*) Pilgerschaft.

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