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[   Band 1 Brief 109:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Donnerstag, 16. Dezember 1790, abends 11 Uhr   ]


Carolinen mehr davon sprechen wollten, denn ich fühlte mich zu
heftig bewegt und fürchtete, mich vor der Gesellschaft zu verraten,
und doch, wie war mir damals, und wie ist mir jetzt? — Ach, wie
entfernt waren meine Gefühle von denen, die nun meine Seele
füllen! — Nennt das auch eine Sprache, was Du mir bist, zu
welcher Höhe der Empfindung Du mich gehoben, welcher Reich-
tum, welch selige Fülle Du meinem Herzen gegeben hast? Ich be-
wundre mich in dieser Gestalt, die mir Deine Liebe geschaffen und
Deines Wesens überströmende Schönheit. Ich kniee, Dich anbetend,
Dir dankend, still im Geiste vor Dir nieder und flehe: »Nimm zum
nie genügenden Danke das Leben wieder, das Du mir gabst.« Ach,
Du Einziger, diese Bitte wird den ganzen Raum meines Daseins
ausfüllen. Ewig kann ich nur streben, mich tiefer in Dich zu ver-
senken, Dich in immer schöner empfundener Wahrheit in mich auf-
zunehmen. O, Du, mit welchen Namen soll ich Dich nennen, mein
Geliebter, mein Bruder, mein Gemahl, das Glück, das Du mir gibst,
hat Deine Liebe einem künftigen Dasein entwandt, denn nie, o, nie um-
schwebte seine Ahndung ein menschliches Herz! — Laß mich aufhören,
laß mich Dich, heiliges Wesen, diesen Tag und die Erinnerung der Ver-
gangenheit in schweigender Seele denken. Worte entweihen diese Ge-
fühle, doch verzeihe, auch sie sind so süß, und Deine Seele gibt den Emp-
findungen die Gestalt wieder, die sie durch die Sprache verlieren. —

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Habe heut morgen Deinen Brief empfangen, mein Bill. Wie
süß bewegte er mir die innerste Seele. —
So sind wir dennoch eins, trotz dieser schmerzhaften Trennung. O,
es ergreift mich oft so eine tiefe, unaussprechliche Gewißheit, daß wir in
einem Moment einen Gedanken denken! Ich weiß nicht, woher ich sie
schöpfe, genug, daß es so ist und daß es mich unendlich beseligt. —
Der heutige Tag und die vergangene Nacht, Bill, wer sagt
alles, was in mir vorging? Um diese Stunde saß ich noch zwischen

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