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[   Band 1 Brief 4:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], den 2. November 1788   ]


wenigen Worten alles gesagt. Alle Seligkeit, die ich für jenseits
hoffe, lag in dem namenlosen Gefühl, mit dem ich ihn in meine
Arme schloß — aber auch der bitterste Schmerz. O Wilhelm, ich
gehörte mir selbst nicht mehr — nur die Liebe zu Euch, meine
ewig Geliebten, hob mich wieder über die Wellen, mit denen ich
sonst auf Gefahr, in ihnen zu versinken, fortgeschwommen wäre.
Aber auch besser, uneigennütziger, reiner stehe ich von diesem Kampf
auf, mit dem besten Entschluß, jeden Moment meines Lebens nur
dazu anzuwenden, eine Stufe der Seelenstärke zu erlangen, auf der
mich der Sturm nicht mehr so ergreifen kann, mich herabzuwerfen
in eine solche Tiefe des Jammers. — Ich sehe ein, daß ich bisher
noch nicht den rechten Weg gegangen bin, obgleich mit reinem
Herzen und Willen. Ich habe noch immer den Leiden, die ein-
mal über mein Leben ausgegossen zu sein scheinen, die Oberhand
gelassen — ich habe in dem Wahn gestanden, die höchste Tugend
sei, sie mit stiller Ergebung zu tragen — aber ich komme davon
zurück; ich sehe, sie werden mich so zu Boden drücken, daß keine
sterbliche Macht mich wieder zu erheben vermögend sein wird,
wenn ich nicht jeden Augenblick meines Lebens benutze, ihnen
entgegenzuarbeiten. Ach nur noch einige solcher Szenen wie die
letzte mit Carl, und Ihr habt mich verloren! —
Ihr sollt mich aber nicht verlieren — sei ruhig, mein trauter,
süßer Wilhelm — gib mir Deine liebe Hand und hilf mir mit
aufwärts — sieh, ich bin allein wieder aufgestanden aus dem
fürchterlichen Strudel, der mich beinahe mit fortgerissen hätte, denn
ich liebte Euch zu sehr, um Euch zu sagen, in welchem Zustand
ich war. Noch schaudert mir dafür, aber es ist vorbei, ich will nur
vorwärts, nicht zurück sehen, denn die Erinnerung würde mich in
dem Laufe zum schönsten Ziel aufhalten, und ich bin es Euch,
meine Verbündeten, bin es meiner Caroline [v. Beulwitz] schuldig,
dahin zu gelangen. Du mußt dieses herrliche Weib sehen, wenn

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