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[ Band 6 Brief 168: Humboldt an Caroline Frankfurt, 15. Januar 1819 ]
Du die Unmöglichkeit eingesehen haben, mit dem Staatskanzler anders zu sein, als ich war. Die Entfernung in vielen wesentlichen Grundideen war sichtbar genug, unwahr war übrigens von meiner Seite das Verhältnis kaum zu nennen. Auf dem tieffreundschaft- lichen Fuß bin ich nie mit ihm gewesen, und wie wäre das in solchen Verhältnissen möglich? Das flachere Verhältnis hat von meiner Seite nicht aufgehört. Daß bis jetzt mir das Gerücht, daß ich gut mit ihm gewesen sei, geschadet habe, davon habe ich keine Spur. Allein, liebes gutes Kind, sei überzeugt, über den Tadel kommt man nicht weg. Wenn ich ins Ministerium gehe und die beiden, ja auch nur den einen darin lasse, den Du und Nibbio darin wollen, so werde ich doch der Schwäche und des Nachgebens beschuldigt werden, und von gewisser Seite nicht mit Unrecht. Dann hat sich sichtbar in Aachen mein Verhältnis mit ihm erkaltet, wie auch, da ich ihm viel widrige Dinge sagen mußte, bei seiner nicht ganz unempfindlichen Natur natürlich war. Noch größeres Erkalten und weniger Sehen wird also in Berlin natür- lich erscheinen. Beim Zurückkommen von London wäre es öffentlich gar nicht zu begreifen gewesen. Alles, was der Staatskanzler mir getan hat, ist privatim vorgefallen. Öffentlich kann er sich sehr rechtfertigen. Er hatte mir (einerlei ob ernsthaft oder nicht) eine Stelle im Ministerium angetragen, ich hatte sie an Bedingungen geknüpft, die nicht erfüllt wurden, ein anderer hat nun das Mini- sterium erhalten, ich war an einem äußerlich für wichtig gehaltenen und gewiß angesehenen Posten. Das ganze moralische Unwesen lag in dem, was keinem bekannt sein konnte. Dann mußte ich mich auch damals sehr hüten, daß ich nicht zu boudieren schiene, nicht Bernstorffs Platz zu haben. Dies wäre schädlich gewesen und un- geschickt. Du hast sehr recht, daß ich von Natur wohl über ge- wisse Dinge zu leicht weggehe, daß ich vorzüglich die, welche Ab- stoßung fordern, oft zu wenig ernst nehme, da ich, was ich gar 437