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[ Band 3 Brief 66: Humboldt an Caroline Königsberg, 21. April 1809 ]
Die Königin war, als ich sie neulich sah, sehr bewegt und weinte. Sie hat mich unbeschreiblich gütig empfangen. Sie ist noch recht schön, nicht zu stark, und nur so viel Spur der Zeit und des Kummers, als den Ausdruck rührender und interessanter macht. Sie hat viel nach Dir gefragt. Mein Leben ist jetzt noch nicht recht eingerichtet. Ich hoffe es aber dahin zu bringen, daß ich einsame Muße habe, nach der ich mich unendlich sehne. Ich schließe mich darum, soviel ich kann, in einen engen Kreis ein, die Gedanken bleiben doch immer das Beste und Höchste, und mein Leben muß bleiben, was es einmal gewesen ist: Beschauen und Nachdenken. Ein lebendiges Bild der Welt gehörig in Einheit gebracht, mit sich wegnehmen, ist vielleicht überhaupt das beste, was der Mensch tun kann, und mir insbesondere ist nichts so angemessen, so durch meine Natur selbst aufgegeben. Was irgend geschehen und auftreten mag in der Welt, findet sich in Grund- und Urideen wieder, wie in ewigen vor- bereiteten Bildern, und kein Studium erschöpft je, wie aus jener Einheit die Mannigfaltigkeit hervorgeht und in sie wieder reicher zurückkehrt. Das unmittelbare Ergreifen der Idee im Wirklichen, dies wahre Erblicken des Geistes im Körper, ist zwar in einigen leichten Fällen allgemein genug, aber in seinem ganzen Umfang, in seinem tiefen Wesen so selten, daß es den meisten nur mystisch und lächerlich vorkommt, und doch ist das wahre Begreifen der Welt, die einmal aus beiden besteht, nur durch diesen Sinn möglich. Ebenso das Begreifen des Charakters und der Individualität. Mein Aufenthalt in Deutschland hat mir wieder sehr viel hierin genützt. Die Art, wie man hier ist, ist mir sehr neu und überraschend gewesen. Unleugbar hat sich alles sehr ver- ändert, und ich wage zu sagen, zum Besseren. Es mag sein, daß es einmal meiner Natur gemäß ist, wenn auch nicht nur immer das zu sehen, aber doch das herauszuheben, woran sich Hoffnungen 141