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[ Band 3 Brief 12: Humboldt an Caroline Erfurt, den 19. November 1808 ]
recht arg das Gegenteil von hübsch. Sie und ihr Mann machen im buchstäblichen Verstande einen häuslichen Kreis. Der arme Wolzogen selbst ist in einem ängstlichen Gesundheits- zustande; man hört, und stark, jeden Odemzug und oft leidet er so, daß man ihn dem Ersticken nah glaubt. Die Li hat diesen Sommer eine Tragödie angefangen, die sie mir, wenn ich einmal ruhiger dort bin, zeigen wird. Goethe war äußerst freundschaftlich und herzlich gegen mich, aber sonst in keiner guten Stimmung in den beiden Tagen. Er hat unendliche Trakasserien wegen des Theaters, und was wirklich schrecklich ist, so war ihm gerade, als ich da war, vom Hofe erklärt worden, er solle zwar die Theaterdirektion behalten, aber sich nicht mehr darum bekümmern, was ihn sehr verdroß. Goethe hat eine lange Unterredung mit dem französischen Kaiser gehabt, von der er sehr voll ist. Schlicht historisches Erzählen ist, weißt Du, seine Sache nicht. Aber Werthers Leiden und die französische Bühne sind die Hauptgegenstände der Unterhaltung gewesen. In Werthers Leiden hat der Kaiser eine Stelle getadelt, die, nach Goethes Ver- sicherung, allen übrigen Lesern entgangen ist. Es ist, sagt Goethe, [die Stelle selbst wollte er nicht anzeigen] eine, wo er die wahre Geschichte und die Fiktion aneinander genäht hat, wo er die Verbindung mit großer Kunst gemacht zu haben glaubt, wo indes der Kaiser doch etwas Spielendes bemerkt hat. Das französische Theater soll der Kaiser unglaublich genau von Vers zu Vers kennen und nicht so unbedingt verehren. Vorzüglich streng soll er in der Beurteilung der Konsequenz der Charaktere und in der Gegen- einanderhaltung der historischen und poetischen Motive sein. Am meisten aufgefallen ist Goethe an ihm, daß er, auch in poetischen und literarischen Dingen nie etwas getadelt hat, ohne gleich zu sagen, was an die Stelle gesetzt werden müßte; wirklich ist auch bei Dingen, wo es auf Handeln ankommt, nichts so desolant, als 21