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[ Band 3 Brief 7: Humboldt an Caroline Nürnberg, den 7. November 1808 ]
Manier, wo ein armer Mensch ganz lebendig anatomisiert wird, indes mit Scharfsinn und Billigkeit. Die Freunde Schlegels behaupten, daß er schon längst katholisch gewesen sei, und jetzt nur, wie es jeder Katholik müsse, zur Messe gegangen sei. Er ist nach Wien gereist, dort Collegia zu lesen, die Frau nach Dresden, wohin ihre beiden noch sehr unkatholischen Veits-Kinder *) kommen sollten, dann geht sie nach Wien. Durch welche Kräfte sich Jude und Christ so bewegen und ergehen, ist unbegreiflich, wenn nicht der selige Necker **) das Geld hergibt. Der Staël habe ich noch immer nicht geschrieben, tue es aber vielleicht noch heute. Sie ist sehr vertraut mit Jacobi, wie es scheint, und hat ihm geschrieben, eigens nach München kommen und ihr Buch mit ihm durchgehen zu wollen, nämlich das über die Deutschen, das aber doch schwerlich ganz gelingt. Sie ist nicht innerlich, nicht natürlich und nicht idealisch genug dazu. Man kann wohl mit Archimedes sagen, daß es nur darauf an- kommt, auf dem rechten Punkt zu stehen, um diese ganze Welt zu begreifen und darzustellen, aber diesen Punkt erreicht sie nicht, wie sie es auch anfangen mag. Es ist die Liebe an dem Gedanken und dem Gefühl um sein selbst willen, und womöglich in seiner nackten, einfachen Wahrheit. Sie, und alle wie sie Gebildete, werden beide immer auf etwas anderes, wenngleich oft Hohes, beziehen, und durch Verstand oder Einbildungskraft schmücken wollen. Sie werden sich daher auch, trotz allem scheinbaren Hang zur Melancholie, selbst von geliebtem und teurem Schmerz und von inniger Leidenschaft nicht eigentlich durchdringen lassen, sich immer vor ihnen wie vor fremden Widersachern fürchten, statt sich gleichsam ganz in sie zu verwandeln. Hätte die Staël mehr ——— *) Einer dieser beiden Söhne ist der nachmals berühmte Maler Philipp Veit. **) Vater der Frau v. Staël, in deren Haus August Wilhelm v. Schlegel seit 1802 lebte. 12