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[ Band 1 Brief 111: Humboldt an Caroline [Berlin], Mittwoch nachmittag, 22. Dezember 1790 ]
Denn Dich nur zu beglücken, Dir zu geben, was Menschen von Menschen zu empfangen vermögen, was reichte an dies nie aus- gesprochene Ziel? Aber es war noch mehr als das. Ich fühlte und fühl es noch in tiefer, innerer Seele, daß ich Dein mehr wert sein mußte, heiliges, großes, nur in den schönsten Augenblicken meines Daseins voll geahndetes Wesen! Ich fühlte, daß jeden andern ich übertreffen müßte in diesem Ringen, nach diesen Reizen nach der höchsten, reinsten Schönheit, so wie Du jede übertriffst im Erreichen dieses übermenschlichen Zieles. Nie, Du heiliges Wesen, werd ich Dich verdienen. Aber laß mich Deine Knie umfassen, und laß mich Dir sagen, daß ich Dich fühle in der Unerreichbarkeit, von der ewig die Sprache geschieden bleibt. So ist’s wahr in mir, und so fühlst Du mich innig und ganz, wenn Du sagst, daß dieses Leben eigentlich kein Leben für mich ist. Auf der anderen Seite, liebe Li, ist es doch mir auch nicht so schlimm, als Deine Liebe, ewig so sorgsam beschäftigt mit Deinem Bill, es sich vielleicht denkt. Ich werde nie mehr so viel zu tun haben als jetzt, und doch auch jetzt arbeite ich meist ohne unangenehmes Gefühl. Nur wenn ich denke, daß Du durch dies Arbeiten etwas vermissest, daß meine Briefe weniger sind, daß ich selbst in weniger schönen Ideen lebe, dann werd ich schmerzlich bewegt. Aber auch die Idee wieder, daß, wie nun die Lage ist, diese meine Tätigkeit uns früher zu- sammen bringt, diese Idee erheitert und stärkt wieder die Seele, und so ist’s auch hier ein ewiges Wogen von einer Empfindung zur andern, wie immer in diesem getrennten Dasein. Darum, liebe Li, gedenk ich noch weiter der Schwierigkeiten, und vorzüglich be- unruhigt mich Papa. Für unser Auskommen bin ich nicht besorgt. Es ist wahr, daß 300 Taler die — wenn ich nicht irre — in meiner Mutter ihren Etat stehen, wahrscheinlich in zwei Jahren aufhören, weil sie von der Lotterie herkommen, die wahrscheinlich, sobald der Kontrakt aus ist, eingeht; auch ist es nicht unmöglich, 346