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[ Band 1 Brief 106: Humboldt an Caroline [Berlin], Montag abend, 13. Dezember 1790 ]
der Art, wie ich Dich sah, entwickelte ich mir, wie des Menschen Natur sein kann und sein muß. Ich drücke es einfach aus, wie es einfach ist. Könntest Du wie ich auch meinen früheren Ideen und Empfindungen nachgehn, Du würdest sehen, wie gerade seit der Epoche Deiner Bekanntschaft — ach! ich brauche mit Fleiß dies fremde, entweihende Wort, damit Du sehest, wie ruhig ich damals über Dich nachdachte — alle diese Ideen in mich übergegangen sind. Der Mensch ist eigentlich in seiner wahren Würde, sieht die Wahrheit der Wesen um ihn her, empfindet sich in seinem eigen- tümlichen Sein und stellt die Schönheit wieder dar, die er in sich aufnahm, wenn das, was wir mehrenteils Stoff des Verstandes, des kalten Denkens nennen, in ihm in Empfindung übergeht. Aber hier ist er zwischen schmalen, leicht täuschenden Grenzen. Auf der einen Seite das helle Sein der trockenen, kalten Vernunft, auf der andern — das Herabsinken von der Sinnlichkeit zum mehr körper- lichen Genuß. Das freiste Bewußtsein in der höchsten, glühendsten Empfindung ist des Menschen höchstes Ziel. O, in Dir erblickt ich das! Nein, Li, o noch einmal, Du bist ein einziges Wesen, ganz verdienen wird Dich niemand, ganz fassen? — Ach! zitternd wagt meine Zunge es nicht auszusprechen, daß ich’s vermöchte, und doch, doch faßt ich Dich so gern. Aber, wenn ich auch nicht ganz Dich fasse, wenn noch von dieser unendlichen Schönheit vieles meinen Blicken entschlüpft, mehr in Dich sich versenken kann niemand, wird niemand, und in niemand ist auch so alles bis zur Bewunderung ähnlich mit Dir als in mir, nur, daß so unendlich schöner und größer Du über mir dastehst, daß vollendete Kraft in Dir ist, wofür in mir erst der Sinn sich erschließt. Lebe wohl, heiliges Wesen. 323