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[ Band 1 Brief 61: Humboldt an Caroline [Berlin], den 26. Juni 1790 ]
61. Humboldt an Caroline [Berlin], den 26. Juni 1790 Das ist nun recht gut, daß, wie Du der Schmidtin gesagt hast, wenn man sich liebt, alles gut und schön ist, was man sich schreibt. Was fingst Du sonst mit meinen Briefen an, gute Lina? Du glaubst nicht, wie mir das manchmal weh tut. Deine Blätter geben mir eine so unendliche Freude, ich lese sie und lese sie wieder so oft, und küsse sie und weine manchmal darüber, und trage sie bei mir, wie einen Talisman, und wenn ich dann die meinen bedenke, dann fühl ich, daß nicht die Hälfte von dem drin steht, was ich empfinde und was Du doch gern lesen würdest, weil Du mich so herzlich liebst. Aber wie ist das auch möglich? Du glaubst nicht, liebe Lina, wie ich besonders jetzt noch, bis ich zu Dir kommen kann, mit Arbeiten und Zerstreuungen über- häuft bin. Da muß ich denn oft die besten Momente vorüber- gehen lassen und schreiben, wenn’s Posttag ist, und werde dabei noch gestört, oder muß eilen, weil ich gleich nachher zu tun habe. . . . Ach! Liebste, wenn das lang so fortdauerte, rieb es mein Wesen auf! Du rühmest meine Stärke, meine Festigkeit, und ich mag manchmal beides sein. Aber wenn Du auch wüßtest, was es mich kostet, durch wie manchen schmerzlichen Kampf schon mein Inneres zerrissen worden ist. Ich sage oft selbst, daß ich der Menschen nicht bedarf, selbst der Freundschaft und Liebe nicht, wenigstens nicht des gegenwärtigen Gefühls, und auf gewisse Weise ist’s wahr. Ich habe ja, noch als ich in Göttingen war, in solcher Einöde ge- lebt. Es hindert auch meine Tätigkeit nicht, es spannt vielmehr meine Kraft höher, aber es zerstört mich auch in mir. Nur kurze Zeit würd ich’s ausdauern. Gott, wenn ich manchmal in Göttingen dasaß, allein, mitten in Arbeiten, die ich häufte, um meiner los zu werden, und der Gedanke an Dich trat dann wieder recht lebhaft vor meine Seele, und alles — Fühlen, Sehnen, Kämpfen, Ent- 176