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[   Band 1 Brief 60:    Caroline an Humboldt     [Auleben], den 22. Jun. 1790, 11 Uhr morgens   ]


bin nicht immer so genügsam wie Du — oft strebt meine Seele in
die Zukunft, sucht sie zu umfassen — ach, die einzigen Bilder, die
ich darinnen sehe, bist Du und unsre Lieben — in Euch ruht mein
Dasein und das unnennbare Gefühl meines Herzens für Dich —
Geliebter! Du teilst es mit keinem andern Wesen — ich verdiene
Dich nicht, aber ich liebe Dich — — verzeih — ich werde unter-
brochen. —
                                                Freitag nachmittag
So spät komme ich erst wieder zu Dir, mein Wilhelm, und
nur auf einen Augenblick. Unsre Ankunft hat sich nun ausgebreitet,
und die Besuche der Nachbarschaft haben mich erschöpft. Indessen
habe ich Deinen Brief bekommen, noch am vorigen Dienstag. Ich
ging den Abend spät dem Mädchen entgegen, das ich auf die Post
geschickt hatte, mit der Schmidtin, die für dergleichen Liebeswande-
rungen Sinn hat, und da habe ich ihn gelesen im Freien, im
schönen, hellen Mondschein. Sag ich’s doch, ich verdiene Dich nicht,
aber ich könnte mit keinem andern Mann glücklich sein, wie mit
Dir. Ja, Du umfassest mich wie kein Wesen außer Dir — das ist
wahr, Wilhelm, daß ich nie ohne tiefe Rührung von Carln sprechen
konnte, daß ich heftiger und schmerzlicher an seiner Seite bewegt
war — ach, mein Herz hat sich nie ganz ausgesprochen über das,
was damals in ihm vorging, ich kannte seine Liebe, den Wunsch
seiner Seele nach ausschließendem Besitz und eine gewisse Heftig-
keit in seinem ganzen Wesen, die mich einige Male erschüttert
hatte. Es war mir so dunkel, ob er gelassen ertragen würde, mich
die Gattin eines andren Mannes — laß mich es aussagen, denn
ich weiß, was für Worte ihm einmal darüber entfielen — vielleicht
Mutter andrer Kinder zu sehen — ich wußte, daß die Versiche-
rungen, die er mir über seinen ruhigen Zustand gab, aufrichtig
waren, daß er mich nicht täuschen wollte, aber ich wußte auch,
daß er sich selbst nicht klar war in seinen Gefühlen, und einst wird

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