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[   Band 1 Brief 21:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], den 27. Januar 1790   ]


21. Caroline an Humboldt    [Erfurt], den 27. Januar 1790

Ich denke so oft an die Zukunft, aber nicht immer ver-
mag ich’s, Hoffnung  Freude aus ihr zu schöpfen —
mir ist’s immer, als wurde sie doch nie mein werden, dann
kehre ich wehmütig und still zur Erinnerung zurück. Was hat auch
der Mensch, was kann er mit Wahrheit sein nennen, als diese
Bilder, die ihn tröstend umschweben, wenn es trübe in seiner Seele
ist. Mir ist so bang und so weh. — Deine Liebe — sie hat mir
alles gegeben — und wenn ich noch heute von dem Schauplatz
des Lebens abtreten müßte, so würde mein letztes Wort ein Be-
kenntnis sein, daß Deine Liebe mir den höchsten Genuß gereicht
hat, dessen ein menschliches Herz empfänglich ist. Die unnennbare
Seligkeit dieses Genusses ist es auch nur allein, die mich zweifeln
macht, ob er hier je dauernd mein werden kann. Es gibt einen
Grad des Glücks, dessen Dasein die Seele nur in Momenten wie
die, die ich Dir danke, ahndet, und zu dessen Hoffnung sie sich nur
in ihrem kühnsten Flug aufschwingt — Wilhelm, und dieses seltene,
kaum erträumte Glück ist für mich einzig allein in Deinen Armen,
in dem Gefühl Deines glücklichen Daseins durch meine Liebe —
o, vergib, wenn Deiner Caroline vor dieser Höhe schwindelt, Deine
Liebe wird die Zaghafte heben und halten.
Schlafe wohl, mein Wilhelm. Ich werde morgen ein süßes
Erwachen durch die Hoffnung haben, einen Brief von Dir zu be-
kommen. Meine Seele, lebe wohl.

                                         Den 6. Februar
Länger als acht Tage hat mein Brief müssen liegen bleiben,
und ich habe indessen zwei von Dir bekommen, mein Wilhelm. Ach
wie schmerzt’s mich, daß Du so lang ohne Nachricht von mir hast
bleiben müssen. Ich war krank, der Zufall, den ich hatte, hätte
können gefährlich werden, indessen ist es nun bis auf eine unglaub-

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