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Humboldt an seine Tochter Gabriele                 Tegel, 20. Mai 1833

Tegel war kaum je so schön und blütenreich als in diesem
Jahre, teure Gabriele, und jeden Morgen, wo ich nach
dem Aufstehen ins Grüne blicke, schmerzt es mich so
lebhaft, Dich und Deine lieben Kinder nicht hier zu haben. Auch
an Deinem Geburtstag werde ich Dich mit wahrhaft tiefer Sehn-
sucht vermissen. Doch erkenne ich, daß es besser ist, daß Du jetzt
nicht gekommen bist, und mit unendlicher Freude habe ich in Deinem
letzten Brief an Adelchen ein Wort gefunden, wo Du von einem
Winteraufenthalt mit uns sprichst. Auf diese Weise werden wir
Deinen langersehnten Besuch wirklich genießen können . . .
An dem Grabe wirst Du eine recht wehmütige, aber auch un-
endlich große Freude haben. Ich hätte es nie vorher geglaubt,
wie ein geliebter Toter unlösbar an den Ort fesselt, der ihn doch
eigentlich nicht besitzt. Gewiß ist man überall von dem umgeben,
mit dem man im Leben ungetrennt eins war, es ist aber so
menschlich, sich gerade an den Punkt zu heften, wo man es von
der Erde verschwinden sah. Die Entfernung vom Grabe hier
wäre mir jetzt ein wahres Hindernis bei dem Plan jeder längeren
Reise.
Die Schwestern lesen mir Deine Briefe immer vor und sie
machen mir die größte Freude, besonders sind mir alle Stellen
lieb, wo Du über die Kinder sprichst. Ich freue mich unendlich
auf sie alle.
Zu Deinem Geburtstage wünsche ich Dir von Herzen Glück.
Genieße recht lange das Glück in ungestörter Gesundheit und
Heiterkeit, von Deinem Mann und den Kindern umgeben zu sein,
und erhalte mir Deine und ihre Liebe. Das Leben, wenn man es
in jedem Moment mit der rechten Gesinnung aufnimmt, ist immer
fruchtbringend, wenn auch oft schmerzlich, und die Gesinnung, es

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