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[   Band 7 Brief 95:    Humboldt an Caroline    Weimar, 12. November 1823   ]


sein kann, viel zu reden, so werde ich mich doch in acht nehmen,
ihn nicht zu viel und zu lange zu besuchen. Es ist mir sehr leid,
daß es sich gerade so hat fügen müssen. Was ich seinem Zustand
unangemessen finde, ist die schreckliche Hitze bei ihm, nach der der
Bagration und der meines Bruders verdient sie die dritte im
Grade zu heißen. Ich halte sie aus, aber es erfordert eine Ge-
wohnheit wie die meinige. Ich habe mir die Freiheit genommen,
in Gegenwart des Arztes darauf aufmerksam zu machen, und der
riet sehr einen Thermometer an. Allein Goethe ist in meinen
Prinzipien und protestiert gegen einen so gefährlichen Zeugen.
Im Gespräch habe ich ihn wie sonst gefunden, höchst inter-
essant und leicht zu großer Teilnahme zu bringen, aber abgebrochen,
so daß man das einzelne zusammenlesen und sich sehr hüten muß,
ihn nicht durch ein dazwischengeworfenes Wort aus seinem Ideen-
zusammenhang zu bringen. Mit mir ist er, man kann nicht freund-
licher, er hat mir auch versprochen, mir vorzulesen oder mir zum
Lesen zu geben, und er muß doch also allerlei bereit haben. In
den Gesprächen über Kunst, und namentlich über Berlinische, habe
ich in den Gesprächen mit ihm und dem Großherzog immer viel
von den alten Ideen gefunden, die nicht frei von Vorurteil sind.
Der Großherzog sagte mir ganz naiv, daß er das Komödienhaus
anfangs sehr häßlich gefunden habe, er gestand aber auch, daß,
als er es oft und in allen Beleuchtungen gesehen, er sehr von
seiner ersten Meinung zurückgekommen sei. Vom Tegelschen Hause
spricht er noch mit großem Beifall und hat in meiner Gegenwart
der Großherzogin *) und Großfürstin **) von den Winden ***) erzählt.
Auf Meyer hat bei uns nichts einen solchen Eindruck gemacht

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*) Luise, Prinzessin von Hessen-Darmstadt, geb. 1757, † 1830.
**) Maria Paulowna, geb. 1786, † 1859, Tochter Kaiser Pauls I. von
Rußland, Gemahlin des Erbgroßherzogs.
***) Reliefs an den Türmen des Tegeler Hauses.

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