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[   Band 6 Brief 204:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 17. Mai 1819   ]


Worte brauchen, die man von denen hört und gewohnt ist, an die
einen wahre und tiefe Empfindungen knüpfen, ist sehr schön und
unendlich wahr. Überhaupt ist das an den Wörtern am meisten
zu bewundern, daß sie machmal nur wie eine leere Hülle sind, in
die nichts oder etwas ihnen ganz Unähnliches gekleidet wird, und
daß sie manchmal einen Sinn und Gehalt haben, den sonst nie-
mand in ihnen ahndet und fühlt. In dieser Art sprechen recht
selten zwei Menschen dieselbe Sprache, und der meiste menschliche
Umgang besteht bloß darin, daß die Menschen sich einbilden, ein-
ander zu verstehen. Es ist schon recht viel, wenn zwei Menschen
nur dahinkommen, die Grenzen zu erkennen, innerhalb welcher ein
anderer den Begriff setzt, den er ausdrücken will. Die Sache selbst,
dahin kommt es fast nie. Das wahre Verstehen in diesem Sinn
muß wirklich aller Sprache vorausgehen, es ist nie durch den Ver-
stand, immer nur durch die Empfindung und die angeborene Ge-
sinnung möglich. Allein um auf den Fall zurückzukommen, von
dem Du schreibst, so ist darin die Welt viel schlimmer geworden.
Noch in unserer Jugend war wenigstens das hübsch, daß eine ganze
Menge von Menschen, alle frivolen, alle sehr vornehmen, alle
trockenen Geschäftsleute, alle bloß derb und roh an der Wirklich-
keit Hängenden, eine ganze Menge von Wörtem in der Sprache
niemals brauchten, und der Umgang mit diesen Wörtern einem
Kreise vorbehalten blieb, in den man doch durch irgend etwas ein-
geweiht sein mußte. Man riskierte gar nicht, daß der, welcher
doch den Begriff nicht fassen kann, das Wort aussprach, und man
hütete sich auch sehr, es gegen ihn zu brauchen. Aber durch das
Abkommen des Französischen und die lateinischen Brocken im
Deutschen, durch das viele Lesen und Hören auf der Bühne von
Schiller und Goethe ist die Sprache gemein geworden, und man
muß erleben und dulden, daß das Sprechen von Menschen, die
mit einem nichts ähnliches haben, als daß sie auf zwei Beinen gehen,

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