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[   Band 6 Brief 196:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 19. April 1819   ]


hinzugesetzt, ich habe nicht gern mit den Studenten zu tun. Nach-
her hat er, vermutlich schon aus Furcht, die Reise unterlassen.
Am Todestage hat er der Frau den Morgen gesagt, er sei gar
nicht wohl und werde den Tag über niemand sehen und auch nicht
in ihrer Abendgesellschaft erscheinen. Sand ist zweimal abgewiesen
worden am Morgen. Den Abend ist er gerade mit der Fürstin
Isenburg die Treppe hinaufgekommen, als diese hat zu Kotzebues
Frau gehen wollen. Er hat sich an sie gewandt und gebeten, doch zu
machen, daß Kotzebue ihn sähe, weil er ihm etwas zu sagen habe,
schon zweimal vergebens bei ihm gewesen sei und nicht lange in
Mannheim bleiben könne. Die Fürstin hat den Auftrag ausge-
richtet. Kotzebue hat geantwortet, nein, heute sehe ich nun einmal
bestimmt niemanden. Da aber die Tochter gesagt hat: den solltest
Du aber doch gewiß sehen, er sieht so gut und sanft aus, so ist
er hinausgegangen. Noch im Beisein des Bedienten hat Sand
Kotzebue wohl dreimal gefragt, ob er wirklich Kotzebue sei, so daß
dieser fast ungeduldig darüber geworden ist, dann hat er ein Pa-
pier zögernd, um den Bedienten erst hinausgehen zu lassen, aus
der Tasche gezogen. Dies ist das auf Pergament in der ersten
Zeile mit Kanzleischrift geschriebene Todesurteil gewesen. Als die
Tochter auf den Lärm hineingekommen ist, hat Kotzebue schon mit
allen seinen Wunden, mit dem Rücken in die Fensterecke gedrückt
und das Papier vor das Gesicht haltend, gestanden. Der Mörder
aber, der sich erst eine Wunde gegeben, hat auf der Erde gelegen.
Die Tochter will beim Wegbringen ihres Vaters das Wort
Mörder von ihm gehört haben. Er hat etwa noch zehn Minuten
gelebt. Sand hat sich aufgerafft und Kotzebue noch einen Stoß
von hinten beibringen wollen. Der Bediente hat ihn aber zurück-
gestoßen. Darauf ist er die Treppe hinuntergegangen, hat eine
Dame, die ihm begegnet ist, weggestoßen und unten das Todesur-
teil anschlagen wollen an die Haustür. Da indes die Fürstin

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