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[   Band 6 Brief 173:    Caroline an Humboldt     Rom, 30. Januar 1819   ]


entgegen. Gabrielle, die ich so klein und mager hinterlassen hatte,
fand ich nach beinahe zehn Monaten Abwesenheit so stark und
gesund wieder, wie sie seitdem geblieben ist. Der Weg von der
Storta zurück zu unserer Wohnung in der Stadt wird mir ewig
unvergeßlich bleiben. Ich konnte mich an den Kindern nicht satt
sehen. Adelheid war so verständig geworden, sprach aber nicht mehr
Deutsch. Gabrielle war so schön und so dick. Ich neckte sie noch
gestern damit. Sie ist sehr lieb geworden, diese kleine dicke Ga-
brielle. Dir gings mit den Kindern, die ich zurückbrachte, wie mir
mit denen, die Du mir entgegenbrachtest. Du fandest Carolinen
so sehr entwickelt, und Theodor so gesund aussehend. Oh, wie
könnte ich Rom je vergessen, an das alle Wehmut und alle Lust
des Lebens geknüpft ist!
Alles, was Du über das Gehen nach Berlin und die
verwirrenden Verhältnisse sagst, die dort auf Dich warten, unter-
schreibe ich. Dein reiner Sinn wird Dich aber herausführen.
Die ernste, klare, schöne Überzeugung, nichts Persönliches
zu wollen, muß in solcher Stellung, in solchen Verhältnissen
wunderbaren Mut geben. Irren, Fehlgreifen ist selbst bei dem
allerreinsten Wollen möglich, aber welchen anderen Charakter tragen
die Fehler eines edlen Menschen als die eines in Egoismus er-
stickten Charakters.
Ich kann mich so recht lebhaft in Deine Stimmung und Ge-
danken in der doch eigentlich sehr einsamen Lage in Frankfurt
denken. Wieviel Gedanken mögen in Deiner Seele vorübergehen!
Das Leben ist ein unendlicher Stoff, der sich nur dem Individuum
in dem Maße offenbart, wie es dasselbe zu begreifen und in sich
aufzunehmen versteht. Ach, die Hoffnung von Deinem Abholen
hier ist nicht mit der neuen Lebensaussicht vereinbar. Ich ergehe
mich ganz dahinein, obgleich es mich um den allersüßesten Genuß
bringt.

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