< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 6 Brief 166:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 7. Januar 1819   ]


Deine so unendlich lieb, aber wenn die Augen so das einzige in
einem Gesicht sind, sind es nie die wahren und eigentlichen, und
dann müssen die Augen auch keinen eigentlichen Teil der Schönheit
ausmachen, sie müssen nur so auf die außer ihnen und ohne sie
bestehende Schönheit den Glanz ausgießen, wie der Himmel auf
die Erde. Sie sind ganz etwas anderes als die Schönheit, ein
unmittelbares Ausstrahlen der Seele, ein unmittelbares Zusammen-
knüpfen von Körper und Gemüt auf unbegreifliche Weise. Darin
haben nur die Lippen etwas Ähnliches, um die es bei geistvollen
Menschen, die gerade diesen Ausdruck besitzen, auch ist, als um-
schwebte sie der Hauch des Seelenvollen der Rede, die sie gewohnt
sind, zu empfangen, und als hinge er in einem Ausdruck, der sich
nicht schildern läßt, unaufhörlich an ihnen. Ich habe nur zwei
Menschen gefunden, die das in sehr hohem Grade hatten, Dich
und Schiller. Bei ihm ist es fast noch in der Danneckerschen
Büste sichtbar geblieben, obgleich er in ihr, wie in der Natur, eine
etwas zu stark ausgedrückte männliche Schärfe in der Oberlippe hat.
Dies ist meine Theorie über die Augen, und wenn ich vor
anderen manchmal im Scherz von dein Zumachen rede, so behalte
ich die innerliche Lehre für mich. Solche innerlichen Lehren kann
man bei sehr vielen, ja ich möchte sagen, bei allen Dingen haben,
und es wird dadurch möglich, indem man sich bloß mit dem Äußeren
und mit Anderen zu beschäftigen scheint, ein recht durch und durch
inwendiges Leben zu führen. Das hat mein Glück von der frühsten
Jugend, ja von der Kindheit an, gemacht. Alles in der Natur
und im Treiben der Welt selbst läßt sich als Hieroglyphe ansehen,
und ist es vielleicht, und jede innere Gedankenzeugung schmiegt sich
wieder einem Bilde an. Es ist das das ewige Band, was die
Welt und die Geister zusammenknüpft. Das gering Scheinende
wird dadurch bedeutend, und manches, was man als bloß irdisch
ansieht, ehrwürdig und heilig. Eine leichte Pforte scheidet dann

                                                                       430