< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 6 Brief 122:    Caroline an Humboldt     Rom, 12. September 1818   ]


122. Caroline an Humboldt              Rom, 12. September 1818

Mein geliebtes Herz! Dein lieber Brief vom 21. Au-
gust ist mein letzter, und ich warte nun wieder
auf den 14. oder 15., der mir neue Nachrichten
bringen muß.
Die Nachricht, die ich Dir letztens so en passant schrieb,
scheint mir einigen Glauben zu gewinnen. Viele Dinge wären mir
in dieser Wahl doch ganz unerklärbar, von anderen zu schweigen,
und wenn ich das Aufsehen berechne, das sie in Deutschland machen
müßte, nach dem, was ich sehe, das sie unter der Handvoll Deut-
scher macht, die hier sind, so wäre es sehr groß. Ich wäre sehr
geneigt, aus Ursachen, die ich aus Bernstorffs Persönlichkeit schöpfe,
nicht daran zu glauben, allein die Eitelkeit besticht die Leute oft,
wer weiß, zu was sie Bernstorff beredet hat. Wie Niebuhr dar-
über denkt, darüber lege ich Dir einen Ausschnitt eines Billetts bei.
Er ist auf dem Lande.
»Bernstorff ist unser gemeinschaftlicher Freund, und Sie können
also meine Äußerungen nicht mißverstehen. Als unser Gesandter
an einem bedeutenden Hof wüßte ich ihn gern, aber mir ist ent-
setzlich beklommen bei dem Gedanken, daß er die Führung unserer
Verhältnisse erhielte. Am unwahrscheinlichsten bleibt es mir, daß
er sich selbst verkennen und auf einen Platz stellen sollte, wo es
ihm nicht verborgen sein kann, daß die allgemeine Stimme einen
anderen hinruft. Liebenswürdigkeit und Edelmut sind doch nicht
hinreichend, wo Arbeitsamkeit, Kraft und Kenntnisse fehlen, und
wenn man sich vierzehn Jahre lang höchst unglücklich auf dem
Theater der Provinz versucht hat, so sollte man es nicht versuchen,
erste Rollen in der Hauptstadt spielen zu wollen. Ich glaube nicht,
daß Sie mir hierin unrecht geben werden. Ich bin wohl sehr
unparteiisch, denn das Herz eines vieljährigen Freundes, wie Graf

                                                                       301