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[   Band 6 Brief 109:    Caroline an Humboldt     Rom, 8. August 1818   ]


109. Caroline an Humboldt                       Rom, 8. August 1818

Wie bin ich doch so sehr reich! Ich bin vorgestern abend
angekommen, meine süße Seele, und habe vier Briefe
von Dir vorgefunden. Ich muß mich sehr freuen, den
Entschluß gefaßt zu haben, wieder herzukommen, wo ich alle
mögliche Pflege und an de Matheis einen sorgsamen Arzt habe,
denn es sind diese Wochen für meine Gesundheit vielleicht bedeutend.
Ich litt wieder so recht brennende Schmerzen, gleichsam im innersten
Mark der Glieder. . . .
Ich bin gestern zum Testaccio herausgefahren, ich sehnte mich
nach dem lieben Ort. Es ist mir unaussprechlich viel wert, diese
Tage noch einmal hier zu sein. Vorig Jahr war ich in Neapel,
vielmehr in Ischia. Es liegt ein wunderbarer Zauber in dem
Wiederkommen der Jahreszeiten, der Monden und Tage, sie gehen
gleichsam nach ewigen Gesetzen unveränderlichen Gang, ob sie
Glück, ob sie den tiefsten Schmerz bringen! Ach, und zuletzt neigt
man sich vor dem, was einem kalt und streng erschien — vor dem
Unveränderlichen und findet allen Trost darin, mit inbegriffen zu
sein — ein Tropfen in dem Meere, in dem ewig flutenden Strom,
den man Zeit nennt. Zeit — Ewigkeit? ist es nicht alles eins?
Ich habe die Tage her sehr viel Schönes gesehen, und wenn
ich so vor den Werken dieser Menschen gestanden bin, deren Name
kaum je noch zu uns herübergekommen ist, so habe ich immer,
immer denken müssen, wie doch gewiß gar nichts verloren geht,
kein Gefühl der Liebe, kein tiefes Erkennen, nichts, denn es trifft
wieder eine andere Liebe, ein anderes Erkennen, und so wird das
lebende Geschlecht überliefernd, und es geht eine ununterbrochene
geistige Zeugung und Belebung vor.
In dieser symbolischen Malerei ist ein wunderbarer Zauber,
viel Großes und Außerordentliches ist mit so kindischer Unbehilf-

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