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[   Band 6 Brief 79:    Humboldt an Caroline    London, 5. Mai 1818   ]


Geländer stand, meinte, man sähe die Leute besser. Im Grunde
habe ich das nicht ungern. Es ist eine Art wilden Zustandes, der,
nachdem er die Gesellschaft aufs äußerste getrieben hat, nun wieder
aus der Gesellschaft heraus will. Daß bei diesen Zusammenkünften
von dem Mann und der Frau des Hauses gar keine Rede ist,
versteht sich von selbst. An den gestrigen bin ich ganz unschuldig,
ich habe sie in meinem Leben und auch gestern nicht gesehn.
Einmal ging auf dem Flur ein Mann herum, von dem einige
meinten, es möchte wohl der Hausherr sein. Es wurde aber
nie ins Klare gebracht, und man bekümmerte sich nicht weiter
um ihn. Das einzige Interessante für mich war, daß Wellington
da war, der eben erst angekommen ist. Er war sehr freundschaft-
lich gegen mich.
Du sagst so süß und hübsch, daß Dir die Tage immer tiefere
Liebe zu mir brächten. Wohl, teures, inniggeliebtes Herz, geht es
auch mir so. Wenn die Liebe einmal tief aus dem Herzen quillt,
so ist es, als schwellte sie einem immer mehr und mehr den Busen,
und man begreift und faßt nicht, wohin das Verlangen, sich nahe
zu sein, steigen wird. Wie kannst Du aber sagen, daß ich Dir
Schwächen vergeben soll? Um fortdauernde Liebe kann man immer
bitten, weil die Gewißheit, daß es der Bitte nicht bedarf, und die
Sehnsucht, sie doch zu tun, sich immer gegenseitig erzeugen. Aber
welche Schwächen könnte ich Dir zu verzeihen haben, ewig teures
Leben? Du bist so unendlich gut und lieb und warst es immer.
Erhalte mir nur deine Liebe, und glaube gewiß, daß alles, was in
mir bewegt und lebendig ist, es nur in der meinigen zu Dir ist,
die jeden andern Gedanken und jede andere Empfindung beherrscht.
Lebe wohl, meine Innigstgeliebte. Ewig Dein H.

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