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[   Band 6 Brief 57:    Humboldt an Caroline    London, 3. März 1818   ]


ihr nur überhaupt möglich wäre. Die Kunst erheischt eine hohe
Ruhe, ein immer in sich selbst zurückschwankendes Gleichgewicht.
Gerade das aber ist dieser Nation nicht gegeben, vielmehr ist sicht-
bar Hinneigen zum Gegenteil in ihr. Die Kunst weiß sich allen-
falls mit einem leichten Stoff und einem leichten Talent zu behelfen
und tritt da noch als augenblicklich gefallend, wenigstens als Zier-
lichkeit auf, aber unter einer höheren und besseren Kraft, die aber
eine ihr entgegengesetzte Richtung hat, erliegt sie.
Es hat mich unendlich gefreut, daß in einem Deiner letzten
Briefe über die Sehnsucht, die Italien erregt, fast mit denselben
Worten das steht, was ich den Tag vorher Dir darüber geschrieben
hatte, daß sie nicht wegzieht von dem Boden, auf dem man ist.
Es ist eine unendliche Einheit des Denkens und Empfindens in
uns beiden, und nichts beglückt mich so sehr. Ich glaube nicht,
daß es noch zwei Menschen auf Erden gibt, auf die das verehe-
lichte Leben (denn man kann doch nicht leugnen, daß diese Art der
Verbindung, wäre es auch nur durch die Bestimmung zu unauf-
löslicher Dauer, die in der gesetzlichen Einrichtung, in dem natür-
lichen Gefühl des schlichtesten Menschen und in dem des am feinsten
und höchsten Empfindenden liegt, eine höhere und innigere Kraft
hat als jede andere) so tief und so wechselseitig gewirkt hat. Ich
kann mir Schritt vor Schritt nachweisen, wie ich alles durch Dich
geworden bin, teures, geliebtes Wesen, wie selbst, was mir angehört,
sich höchstwahrscheinlich nie entwickelt hätte, und wie das Gefühl
der vollsten, natürlichsten und höchsten Weiblichkeit, was keine Frau
auf Erden so wie Du gibt, indem es schon in mir eine Stimmung
fand, die gern und tief darin einging, eine Eigentümlichkeit in mir
ausgebildet hat an der alles andere hängt, und die außer Dir
kein Mensch so kennt oder nur ahndet. Es gibt mir manchmal
eine größere Weichheit und einen Hang, in mich zurückzukehren,
mehr als das Leben verträgt, es ist, insofern es Dir rein angehört,

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