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[   Band 6 Brief 23:    Humboldt an Caroline    London, 26. November 1817   ]


auch ein schwerfälliger Lapidarstil in Inschriften. Der liebe kleine
Junge wird aber gewiß recht gut.
Ich schicke Dir hier zwei Briefe, die freilich das Porto ver-
mehren, ich mag sie aber doch nicht öffnen. Man muß jedem Schrei-
benden sein Recht lassen.

24. Humboldt an Caroline                     London, 29. November 1817

Wir haben zwei Briefe auf einmal von euch gehabt, liebe
Seele. . . Die arme Gabriele hat sich also sehr gesehnt
und ist in Unruhe und Sorge gewesen? Was Du von ihr,
und daß Du sie nicht ohne Wehmut ansehen kannst, sagst, hat mich
tief gerührt, und ich habe es vollkommen verstanden. Du hast un-
endlich recht darin. Frauen werden mit einer unendlich mehr ver-
wundbaren Natur in eine Lage gestellt, wo es kaum möglich ist, jede
Verletzung zu verhüten, da die ganze Art ihres Daseins immer die
Empfindung erregt und in Anspruch nimmt. Das Glück, die Ruhe
des Lebens selbst, schwebt da in ewiger, unvermeidlicher Gefahr.
Manche Charaktere sind aber allerdings dieser Gefahr noch mehr aus-
gesetzt, und in der Tat ist es Gabriele gewiß mehr als Adelheid, die
in diesem Moment nun wirklich den Hafen erreicht hat und nur un-
glücklich werden könnte, wenn sie August verlöre oder mit Kindern
widrige Schicksale erführe. Gabriele hat eine mehr in sich gekehrte,
nicht so, wie es bei Adelheid der Fall ist, tätig mit der Wirklichkeit
beschäftigte Stimmung. Was mich aber auch für sie wieder beruhigt,
ist, daß Bülow eine eher weiche als widerstrebende Natur ist. Aller-
dings fehlt es ihm, wie Du mir sicher glauben kannst, von selbst
an allem Poetischen, allem Weben und Leben der Phantasie.
Wenigstens hat sich bis jetzt nichts davon entwickelt, und wenn es
nicht durch die Leidenschaft und die Liebe eine Tür zu ihm findet,

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