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[   Band 6:    Überblick   ]


gefordert. Er sah wohl, daß er damit Humboldt nicht würde
in London halten können, suchte aber wenigstens seine Rückkehr
zu verzögern und ließ ihn monatelang ohne Antwort.
Da Humboldt alle seine Briefe an den König und Harden-
berg, ebenso wie die Antworten, seiner Frau in Abschrift mitteilt,
so erhalten wir ein deutliches Bild der Lage und können uns in
Humboldts Spannung hineinversetzen. Sie wird quälend durch
schlechtere Nachrichten aus Rom. Dennoch klingt noch immer
Langmut und Schonung für den Kanzler durch. Humboldt ist
nur zu sehr gewohnt, die Dinge von allen Seiten zu betrachten,
und so sieht er wohl die fatale Lage ein, in die sich Hardenberg
gebracht hat. Das führt ihn zur Geduld, ja zu einem gewissen
Mitleid mit des alternden Mannes Schwäche, das ihn den
»ausgesprochenen Bruch« scheuen läßt. Unterdessen besetzt Harden-
berg den einzigen Posten, der für Humboldt frei und geeignet
gewesen wäre, den eines Ministers des Auswärtigen, den er ihm
selbst früher versprochen hatte, mit dem dänischen Gesandten
Grafen Bernstorff. Schon im Mai 1818 waren mit diesem
Verhandlungen deshalb angeknüpft worden. Von wem dieser
für Preußen unerhört demütigende Vorschlag, einen Ausländer
an die Spitze der auswärtigen Politik zu stellen, ausgegangen,
ist nie ganz aufgeklärt worden. Wie unwahrscheinlich dieser
Gedanke überall erschien, zeigt uns der Widerhall aus allen
zeitgenössischen Briefen. Humboldt hört davon gerüchtweise erst
Ende August 1818, findet die Nachricht »ganz abenteuerlich« und
bezeichnet sie als »schlechte Erfindung«. Man hält es auch nicht
für nötig, ihm diese Ernennung mitzuteilen, er erfährt die
vollendete Tatsache durch die Zeitung. Bernstorffs edle Persön-
lichkeit, ihm von Jugend auf befreundet, ist Humboldt durchaus
sympathisch, doch hält er ihn für ganz ungeeignet zu diesem
Posten. Die spätere Entwicklung hat ihm nur zu sehr recht gegeben.

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