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[   Band 5 Brief 189:    Humboldt an Caroline    Brüssel, 24. September 1817   ]


hatte, hübscher. Glaube mir, geliebte Seele, es gibt wenig Menschen,
die nicht ihr eigenes Wasser allen Flüssen des Paradieses vorziehen.
. . . Was Du, geliebte Seele, bei dieser Gelegenheit von mir
sagst, ist höchst lieb und gut. Aber das kann ich wirklich mit der
höchsten Wahrheit sagen, daß es keinen Menschen auf Erden gibt,
der an den echten und wesentlichen Verhältnissen des Lebens mit
mehr Treue, mehr Bereitwilligkeit, in jedem Augenblick alles dafür
aufzuopfern, hängt. Ich weiß wohl, daß man dies nicht glaubt,
und daß selbst unter den Guten viele meinen, daß Wohl oder
Verderben des Staates mir gleichgültig wären, und ich die Geschäfte
nur so wie ein interessantes Spiel behandelte, meine Kräfte daran
zu üben.
Ich halte freilich nichts von dem Lamentieren, wenn man nicht
handeln kann, noch weniger von dem ewig und eifrig Wichtigtun,
und von dem selten von Eigenliebe freien Zudrängen, um zu retten;
allein, wenn ich wohin gestellt bin, so weiß ich, daß ich nie mein
Dasein von der Sache trennen, sondern nur beides zugleich auf-
geben würde. Wäre es in Prag, in Chatillon anders gegangen,
als es ging, würde es sich erwiesen haben. Darum bin ich auch
sehr gleichgültig bei den Reden über das Gemüt, die ich so oft
hören muß, und lächle in mir darüber. Das wahre Gemüt im
Handeln ist, seine Pflicht tun, sich und seine Neigungen hintan-
setzen und am Guten in Dingen und Menschen festhalten und es
nicht untergehen lassen. Dann gibt es freilich ein höheres und
tieferes Gemüt, von dem aber die, so darüber reden, auch nicht
einmal eine Ahndung haben, weil gerade die sogenannten Gemüt-
vollen immer recht fest, wenn auch im guten Sinn, an der Wirklichkeit
hängen und nie von ihr loskommen. 

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