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[   Band 5 Brief 143:    Caroline an Humboldt     Innsbruck, 3. Mai 1817   ]


den schönen edlen Ausdruck seiner Züge erhalten, der einen so
tiefen Eindruck machte. Dich grüßt er tausendmal und läßt Dich
um Verzeihung bitten, daß er Dir nicht geantwortet hat. Seine
Augen sind so schwach, daß er immer ein Käppchen mit einem
Schirm tragen und gegen das Licht sitzen muß. Er sprach mit
Bewunderung von Deinem Agamemnon und mit Liebe von Dir.

                                               Verona, 7. Mai
Ich bin nicht wieder zum Schreiben gekommen. Den 4. sind
wir von Innsbruck bis Sterzing gegangen. Nirgends waren Post-
pferde, und die, die wir fanden, beinahe verhungert. Es ist in
der Gegend des Tirols eine Art Hungersnot. Den 5. gingen wir
bis Bozen, den 6. bis Roveredo, und heute hierher. Wir bleiben
morgen und gehen übermorgen nach Padua und Venedig. Hier
habe ich gleich nach Briefen von Dir auf der Post zufragen
lassen, aber keine bekommen. Ich bin so verlangend danach.
Ich kann Dir nicht mit Worten sagen, wie Du mir fehlst,
je mehr mich etwas freut, je schöner ich es finde, je mehr
wünsche ich Dich zu mir. Ich weiß nicht, ob ich vor 15 Jahren,
als ich mit Dir durch dieselbe Gegend kam, in der großen
Reisefregatte die Gegend nicht so gesehen habe, aber ihre
Schönheit hat mich diesmal noch bei weitem mehr frappiert.
Einiger Punkte erinnerte ich mich indessen ganz klar. Überhaupt
ist die Reise eine einzige Erinnerung an Dich, mein teurer, geliebter
Wilhelm. Es liegt das Andenken jener Zeit, die Gegenwart und
dazwischen die Jahre, die nur ein Gefühl Deiner Liebe, Güte,
Deiner Nachsicht und Deiner Sorgfalt für mich enthalten, mir
lebendig in der Seele. 
Mit meiner Gesundheit geht es seit einigen Tagen besser, und
ich huste auffallend weniger, seitdem ich über den Brenner bin
und es warm ist. In München ging es mit Carolinen sehr schlimm,

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