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[   Band 5 Brief 100:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 9. April 1816   ]


100. Humboldt an Caroline                  Frankfurt, 9. April 1816

Deine Tirade über die Juden, teure Seele, ist göttlich; ich
habe Lust, sie Steinen mitzuteilen, der ganz Deine An-
sichten teilt, aber noch viel heroischere Mittel zur Abhilfe
vorschlägt, da er die Nordküste Afrikas mit ihnen bevölkern will.
Ihr mögt beide wohl recht haben, aber die Art, wie Du Dich
über mich dabei ausdrückst, hat mich noch mehr getroffen. Du
sagst, daß mir die Juden zu einerlei seien, das ist ein Vorwurf,
den man wohl weiter als auf die Juden bei mir ausdehnen könnte.
Dies Einerleisein ist überhaupt zu sehr Form in meinem Gemüt,
dehnt sich auf zu viel Sachen aus und ist auch bei einzelnen zu
stark. Ich muß ihm selbst immer entgegenarbeiten. Ob das dem
Leben nachteilig oder vorteilhaft ist, denn Vorteile gewährt es aller-
dings auch, mag wohl sehr auf die Dinge, bei denen es eintritt,
und auf die Zeiten und Umstände ankommen. Im Innern weiß
ich besser, wie es damit steht, und da tadle ich es nicht. Denn auf
das, was da wichtig ist, erstreckt sich dies Einerleisein nicht. Aber
auf die Juden zurückzukommen, so wäre allerdings, ohne das auf-
zuheben, was ich immer für gut halte, daß man ihnen bürgerliche
Rechte gibt, viel zu tun, was man versäumt. Warum zum Bei-
spiel leidet man das Loskaufen? Warum schlägt man nicht Mittel
ein, andere Gewerbe unter ihnen zu befördern? Häuser mögen sie
wohl viele besitzen, Güter sehr wenig bis jetzt. Itzenplitz neulich
hier konnte mir nur einen Fall nennen. Der Staat brauchte sich
in seinen Finanzen nicht so viel mit ihnen abzugeben, und das ist
ein Hauptverderben.
. . . Die Allgegenwart, welche die Schrift, der Entfernung und
der Vergangenheit zum Trotz, schafft, ist gewiß das Höchste im
Menschengeschlecht. Daß es ein solches Mittel allgemeiner Ver-
ständigung gibt, und daß sich daran wieder so ungleich mehr an-

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