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[   Band 5 Brief 23:    Caroline an Humboldt     Berlin, 31. August 1815   ]


Ich sprach mit den Kindern in Wolfarts Gegenwart, den ich
früher präveniert, weil er so etwas Mildes, Ausgleichendes in seinem
Wesen hat, und ich mehr Aufgeregtheit in Carolinen vermutete.
Allein Caroline blieb sehr gehalten. Sie sagte selbst, daß sie ein-
sähe, daß wir nicht immer so getrennt sein könnten, und wenn Du
länger in Paris bliebest, so würde sie ja hoffentlich im Sommer
1816 so gesund sein, daß von ihrer Seite keine Verhinderung mehr
obwalten würde, mich nach Paris zurückzubegleiten. Wünschen
aber täte sie freilich mehr, Du kämst hierher. Nun, mein
liebstes Wesen, ich werde also kommen, wenn August ange-
kommen ist. . . .
Der Kanzler hat, wie mir jemand hier für ganz gewiß sagen
wollte, in Paris sein Testament gemacht. Der Gute muß sich
doch wohl sehr schwach gefühlt haben. Ich habe zu dem Kanzler,
den ich doch nur einmal hier sah und sprach, wie man wohl so
zum ersten Male bei einer Bekanntschaft spricht, ein solches Gefühl
wie zu einem teuren Wesen, das man pflegen, dem man recht viel
und mit eigener Aufopferung zuliebe tun möchte, und gerade darin
einen rechten Genuß findet. Du verstehst mich gewiß. Er hat
etwas ungemein Anziehendmenschliches, und das air de grand-
seigneur, was er in hohem Grade hat, hat jenes nicht ver-
drängt. Da habe ich denn auch das vornehme Aussehen eigent-
lich recht gern.
Ich habe recht in mir lachen müssen, daß Du findest, daß ich
solche Gemütsähnlichkeiten mit dem Staatskanzler habe. Allein
es scheint nur in seinen Fehlern, daß er sich nicht schonen will usw.
Wer kann sich schonen? Da müßte man nicht leben!
Adieu, mein Herz!

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