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[   Band 4 Brief 228:    Humboldt an Caroline    Wien, 5. Januar 1815   ]


Stunden wegging. Diese Schlaflosigkeit ist wechselweis Zeichen
und Ursache der Krankheit, die mir darum nur mehr mißfällt,
weil sie keine bestimmte ist. Es ist mir ein neuer großer Beweis,
wie notwendig es ist, sich so zu gewöhnen, oder wie gut, so ge-
boren zu sein, daß man nicht, wie es im Wallenstein heißt, dem
trüben Licht des Saturn, sondern dem Irdischen nur durch etwas
höheres angehört und daher immer die nötige Geistesfreiheit be-
hält, ohne die auch der Körper kein Gedeihen hat.
Dabei strengt sich der Kanzler und unnötiger Weise zu sehr
an, lebt den ganzen Tag in Arbeit und Leidenschaft oder in bloß
geselliger Heiterkeit, die wohl ausruht, aber nicht hebt. Persönlich
verlöre ich an ihm alles. Denn er ist überaus gut und liebreich
mit mir, und ich liebe ihn, wie sonst selten einen Menschen, mit
dem ich nur so in Geschäftsverbindung bin. Sprich aber ja nicht
von seiner Kränklichkeit. Er gesteht sie nicht einmal hier gern ein.
Den Aufsatz in den Zeitungen habe ich erst nach Deinem
Briefe gelesen. Der Kanzler gab ihn mir. Er denkt auch auf
Varnhagen, ich sehe ihn aber fast gar nicht, und er ist gewiß
nicht zufrieden mit mir. Vielleicht ist es Absicht für die Zukunft.
Der Aufsatz ist an sich recht gut oder wäre es vielmehr, wenn er
mit meinem Tun in Prag schlösse. Er hätte, wenn er auch noch
so sehr hätte loben wollen, einfach sagen können, daß ich nachher
nie allein gehandelt hätte. Nach Prag sind alles nur Phrasen.
Die ganze Idee ist höchst sonderbar und kaum sehr zu billigen, für
wen es auch sein möchte. Ach, süßes Herz, die Leute mögen sagen
was sie wollen von mir, es kennt mich von ihnen keiner, und ich
liebe an so etwas nur eins — die Volksstimme; die, zum Beispiel
was Du mir neulich von Theodors Kameraden schriebst, ist mir
sehr viel wert, und die würde ich gern für mich haben. Sie urteilt
auch nur im ganzen, ob einer gutgesinnt und kräftig und schlicht
das Rechte im Auge behaltend ist. Im einzelnen kann ein Mensch,

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