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[   Band 4 Brief 177:    Humboldt an Caroline    London, 11. Junius 1814   ]


Was nicht im Original da ist, ist in Gips, und viel andere Dinge,
als die in den Tempeln waren. Eine nur etwa zwei Fuß hohe
Venus in Gips, von der Elgin in Schottland das Original hat,
von einer unbegreiflichen Schönheit.
Da ein Klub in dem Hause, wo die Sachen stehen, eine Fete
den 24. dem Regenten geben will, zeigt man die Sachen jetzt
gar nicht. Ich habe mich nur durch meine Industrie dahin gebracht,
sie zu sehen, und kann sie nun immer allein genießen. Wenn ich
irgend kann, gehe ich alle Tage hin. Es sind die einzigen Gestalten,
die alles in sich fassen, und gegen die alles sonst Schöne klein ist.
Ich kann Dir nicht sagen, wie sie mich eingenommen haben und
einnehmen. Es ändert sogar den Eindruck gänzlich, den das übrige
London auf mich macht. Es waren doch die einzigen Menschen,
die jener Zeit, die man groß nennen kann, und nie ist nur etwas
Ähnliches wiedergekehrt.
Ich muß schließen. Lebe wohl, einzig geliebtes Kind.
Ewig Dein H.


178. Humboldt an Caroline                 London, Downing Street,
                                                  14. Junius 1814

Das Leben, wie wir es in London führen müssen, ist un-
endlich ermüdender, liebe Li, als bisher in irgendeiner
Stadt. Man ist so gut als alle Mittag eingeladen, man
geht um 7 hin, setzt sich zwischen 8 und 9 zu Tisch, bleibt bis 11
und muß dann noch auf einen Ball. Am Morgen, so lang er
auch ist, kann man doch auch verhältnismäßig nur wenig tun. Denn
das Sehen aller Sachen ist so umständlich, und die Entfernungen
sind so fürchterlich, daß jedes einen weit mehr als es sollte auf-
hält. Ich weiß noch immer wenig zu nennen, was ich gesehen
habe, und sehr viel, was mir fehlt, und ich bin gewiß, daß auch

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