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[   Band 4 Brief 170:    Humboldt an Caroline    Paris, 20. Mai 1814   ]


bin, aber ich bin es unbeschreiblich. Es ist mir oft, als würde
ich tagelang mit Dir zu sprechen haben, wenn ich Dich endlich
wiedersehen werde, als hätte ich Dir tausend Dinge über mich,
über unser bisheriges Leben zu erklären, Dir tausend Dinge abzu-
bitten, Dich zu beschwören, ja Dein Leben recht, wenigstens jetzt
nach Deiner Lust, zu Deinem Glück einzurichten; dann fällt mir
ein, daß, wenn ich Dich sehen werde, dies alles sich in einem
Blick, in dem Genuß der Gegenwart, dem unsäglichen, der allen
Gedanken vorauseilt und alle Gefühle überflügelt, verlieren wird,
und dann ergreift mich eine so furchtbare und wieder so süße
Sehnsucht, daß ich mitten unter Menschen auf einmal verstumme.
Ja, liebes Kind, es ist nun einmal nicht anders, ich bin unendlich
verliebt in Dich, was ich in unserem ersten Zusammenleben fühlte,
ist durch die Jahre des Glücks, die Du mir geschenkt hast, geweiht
und gereift und hat nichts in mir von seiner Frische und seinem
ersten unentweihten Reiz verloren; mitten unter allen Begebenheiten,
unter aller Tätigkeit, mit der ich es doch wirklich recht ernstlich
meine, bist Du es doch immer einzig, die allein mich füllt und
besitzt; bei aller Liebe zu den Kindern, sehe ich doch immer in den
Kindern nur wieder die Mutter, es ist nichts auf Erden, was ich
nicht für Dich täte, und nichts, wovon ich mehr für Dich ließe;
und Gentz hat ganz Recht, wenn er mir, wie er manchmal tat,
sagt, daß mein ganzes Denken, Empfinden und Handeln nur Dein
Werk und wie ein Ausfluß Deines Wesens ist.
Verzeih, liebe Li, daß ich Dir so von mir rede, da Du mit
Recht ganz etwas anderes erwartest. Ich kann Dir jetzt mit voll-
kommener Gewißheit sagen, daß ich mit nach England und nachher
mit nach Wien gehe. Ich bin seit unserem Hiersein so verwebt
in alle Geschäfte, daß es auch in der Tat nicht einmal anders
anginge, wenn auch das Vertrauen und die Freundschaft des
Kanzlers nicht mit jedem Tage von diesen, wo die Geschäfte so

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