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[   Band 4 Brief 160:    Humboldt an Caroline    Paris, 18. April 1814   ]


gekommen. Er war heute früh bei mir und glaubt, daß seine
Mutter bald hier sein wird.
Reinhards *) sind hier und äußerst freundschaftlich mit mir.
Aber Stinchen **) ist schrecklich garstig geworden, ohne an Natürlich-
keit zu gewinnen. Es muß ein großes Unglück für einen Mann sein,
wenn seine Frau so häßlich wird. Ich begreife wohl, daß man sie
fortliebt, aber man liebt sie doch viel lieber, wenn sie hübsch bleibt,
und die wahre Schönheit und Hübschheit vergeht nie.
Reinhards tun jetzt sehr patriotisch deutsch; darum haben
sie nicht minder Napoleon gedient und werden weiter in Frankreich
dienen. Man weiß in diesen Fällen immer nicht, ob man sich
freuen soll, daß die guten Grundsätze sich neben den sehr unlauteren
Handlungen erhalten, oder betrüben, daß die Handlungen so sein
können bei solchen Grundsätzen. Am meisten bewundere ich die Ruhe,
mit der die Menschen immer das selbst debitieren. Sie sehen es
als eine ganz ausgemachte Sache an, daß man sein Hab und Gut
in keine Gefahr bringen kann, und die unschuldigen Kinder und
armen Frauen müssen zum Deckmantel dienen, es zu beschönigen;
daß eine edle Frau lieber sich und die Ihrigen am Bettelstab
sähe, als ein unwürdiges Betragen des Mannes zu erdulden, kommt
ihnen nicht in den Sinn.
Ich weiß nicht, ob ich Dir schrieb, daß ich die Geschäfte beim
provisorischen Gouvernement hier versehe. Dies, und daß ich auch
den Konferenzen der Kabinette mit Talleyrand gewöhnlich bei-
wohne, nimmt einem in dem weitläuftigen Paris, wo man Stunden
im Wagen verliert, unglaublich viel Zeit.
Vom Morgen um 10 Uhr an muß ich herumfahren, Besuche
machen oder in Konferenzen sein, und kaum finde ich noch eine

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*) Karl Friedrich Graf von Reinhard, geb. 1761, † 1837 als französischer
Minister. Von Geburt Württemberger, seit 1792 in französischen Diensten.
**) Gräfin Reinhard.

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