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[   Band 4 Brief 108:    Humboldt an Caroline    Freiburg, 31. Dezember 1813   ]


in Einsamkeit ein, um ungestörter mit meinen Gedanken bei Dir zu
sein. Mitten in der Gesellschaft, die wenig ernsthafte Gedanken
zu fassen aufgelegt war, habe ich an die Schicksale gedacht, die
jetzt unentwickelt daliegen. Die Dinge sind alle erst begonnen,
nur das Werk der Zerstörung ist vollendet, und auch dieser Vollendung
fehlt noch die eigentliche Bekräftigung für die Dauer. Das Auf-
bauen ist unendlich schwieriger, kann nicht durch die Kräfte ge-
schehen, die zerstört haben, und macht mich oft besorgt und un-
ruhig. An mir, teures Herz, das verspreche ich Dir, soll es nicht
liegen. Ich habe Ernst in allem, die Sache, um die es gilt, ist
mir so wichtig, daß ich in jedem Augenblick ihr mit Freuden die
größesten Opfer brächte, und dabei habe ich noch das Gefühl, daß
mir daran liegt, Dir die Überzeugung zu geben, daß ich unsrer würdig
handle. Der Gedanke an Dich ist mir bei allem öffentlichen
Handeln ganz anders gegenwärtig, als es die meisten Menschen
begreifen; und es ist mir eine der erhebendsten und unentbehrlichsten
Seiten im Verhältnis zwischen Mann und Frau, daß sie die stille
Befestigerin und Lenkerin nicht der bestimmten Handlungen, aber
der Gesinnungen und des Geistes des Mannes ist. Es ist dies
zugleich etwas, das vollkommen ewig ist, nicht durch entflohene
Jugend entführt, nicht durch Gewohnheit geschwächt, nicht durch
das Leben zerstreut werden kann. Es ist das, worin sich die
Gefühle jeder Lage, jedes [?] wie in einem Brennpunkt wieder
sammeln, und worauf am Ende allein die beruhigende Überzeugung
beruhen kann, daß auch der Tod unvermögend wäre, zu vernichten,
was diese innigste und edelste Berührung der Gemüter geschaffen hat.
Gute Nacht, süßes Kind. Ich werde mit Dir einschlafen
und im neuen Jahre mit Dir zuerst erwachen. Erhalte mir auch
Deine Liebe. Auch der am stärksten und selbständigsten aussieht,
ist immer der Liebe bedürftig, und niemand kann für die Deinige
dankbarer sein als ich. Ich küsse in Gedanken Dich und die

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