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[   Band 4 Brief 102:    Humboldt an Caroline    Heidelberg, 14. Dezember 1813   ]


älter geworden, allein sonst sehr unverändert geblieben, und im
patriarchalischen Genre ist es doch immer eine sehr interessante
Familie. Sie haben noch ganz die alte, wunderbare Familien-
feierlichkeit. Der Alte wird vergöttert und auf Händen getragen,
der Sohn, der derb und dick und Professor ist, nennt den Vater
»Sie« und die Mutter »Du«, und Vater und Mutter haben,
ihres Alters ungeachtet, kein Hehl, sehr zärtlich miteinander zu tun,
sich zu umarmen und so umarmt stehenzubleiben. Auch im Essen
am Tisch war es mir eine lebhafte Rückerinnerung an Eutin. Ich
hätte Dich unendlich gern hinzugewünscht.
Wir haben natürlich viel über Übersetzen, Silbenmaße und
den Agamemnon gesprochen, und ich habe in Vater und Sohn
viel Gutmütigkeit gefunden und weniger Bitterkeit und Aus-
schließendes als sonst. Im ganzen ist mir diese Unterredung sehr
nützlich gewesen. Ich hatte eine geheime Furcht, es könnten da
noch geheime Künste des Übersetzens und Versmachens wohnen,
die ich nicht ergründet hätte, und die auf einmal hervorbrächen
mit dem Aeschylus des jungen Voß. Aber ich habe zu meinem
Trost gefunden, daß Vater und Sohn in Grundsätzen mit mir
durchaus übereinstimmten, mich auf sehr richtigem Wege fanden
und nur weniger streng waren, als ich. Der Sohn hat mir ein
paar Stücke seiner Übersetzung in Abschrift mitgeteilt. Aber ich
kann mit Wahrheit sagen, daß diese Proben meiner Übersetzung
weit nachstehen. Sie sind viel weniger genau im Silbenmaß,
lesen sich holpricht und haben geschmacklose Stellen. Indes muß
man billig sein. Voß ist dem Druck weit weniger nah als ich
und kann noch sehr vieles ändern.
Alles dies hat mich wieder sehr angespornt, mit meiner Arbeit
zu eilen. Wenn ich nur einige ruhige Tage und glückliche Stunden
erlange! Ich bleibe immer dabei, wie ich Gentzen schrieb, ein
guter Vers lebt ewig, wenn Kriege und Friedensschlüsse vergehen.

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