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[   Band 4 Brief 99:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 8. Dezember 1813   ]


und fragt: »Was sagte ich doch?« Fast wie Brinkmann *), nur nicht
so witzig und schnell.
Allein auf mein Wachen zurückzukommen, so schadet es mir
gar nichts, und ich kann unmöglich mich zu Bett legen, ohne Dir zu
schreiben. Schon seit meinem 18. Jahr hat man mir vorgeworfen,
daß ich mich durch Wachen ruinierte. Freilich wird der Ruin
einmal kommen, aber nicht davon.
Bei meinem 18. Jahre fällt mir ein, daß heute der seligen
Mama ihr Geburtstag war. Einmal, wenn mir recht ist, hast
Du ihn auch mit in Tegel erlebt. Ich habe vor einigen Tagen
eine Empfindung gehabt, die mir sonst sehr fremd ist. Ich
las, ich weiß nicht in welchen Versen, wo die Fäden erwähnt
wurden, die man bei uns Sommer nennt, und nur sieht, wenn
es heiß ist. Da befiel mich auf einmal eine solche Erinnerung,
wie ich als Kind in der Hitze diesen Fäden in Tegel nachlief, und
eine solche Sehnsucht nach dem Ort und der Zeit, daß es mir
ordentlich schmerzlich wurde. Wenn so ungewohnte Dinge in dem
Gemüt aufsteigen, ist mir’s immer, als wäre es nicht ohne Ursach.
Es ist mir überhaupt oft, als wenn ein viel tiefer- und mehr-
schauender Geist in uns bald diese, bald jene Gedanken emporsendet,
und nur in der Zwischenzeit die natürlich zusammenhängenden sich
trocken abspinnen.
Der Kurfürst **) ist auch göttlich. Er betrachtet seine Ab-
wesenheit bloß wie einen langen Schlaf und behandelt alle Menschen
und Dinge ebenso, wie er sie 1806 verlassen hat. Zu Offizieren,
die im westfälischen Dienst Obersten geworden sind, sagt er ganz
ruhig: Guten Morgen, Herr Leutnant. Einen Staatsrat in Hanau,
der 4000 Florin Gehalt hatte, hat er, wie er 1806 war, zum

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*) Gustav v. Brinkmann, schwedischer Gesandter.
**) Wilhelm I., seit 1803 Kurfürst von Hessen, geb. 1743, † 1821. 1806
von den Franzosen vertrieben.

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