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[   Band 3 Brief 152:    Humboldt an Caroline    Weimar, 3. Januar 1810   ]


wie man es bei einem Fremden könnte, vor mehreren Menschen
erzählen hören, und heute war sie, wie immer, sehr liebenswürdig,
aber heiter, voller Projekte. Freilich lebte er die letzten vier Wochen
in einer so ruhigen Todeserwartung, daß auch das das Furchtbare
mildern mußte, was die Katastrophe immer hat. Indes bleibt es
doch wunderbar und nicht liebenswürdig.
Wo man mit Carolinen ist, lebt man auch in Entwürfen
und vor allem in Reiseplänen, und so, liebes Herz, haben wir
auch neue gemacht. Ich habe ihr nur im ganzen von der Möglich-
keit erzählt, daß ich meinen Abschied nehmen könnte, sie ist nun zwar
sehr dafür, daß man nach außen wirkt, sich umtreibt und herrscht,
und hat mir, um zu beweisen, daß ich dazu bestimmt sei, ein
Schillersches Diktum zitiert: »Wer immer lachen kann, beherrscht die
Welt««. Aber doch haben wir auf mein Abschiednehmen eventuell
eine Verabredung gebaut. Komme ich außer Dienst vor Ostern,
so reise ich mit Carolinen zurück nach Italien. Wir gehen über
Coppet, kommen zu Dir nach Rom, und wir gehen dann zusammen
nach Neapel, wenn wir Dich nicht schon da finden. Es ist ein
himmlischer Plan, der freilich schwer in Erfüllung gehn wird.
Goethe ist äußerst liebevoll mit mir. Er grüßt Dich herzlich. Er
hat Dir seinen neusten Roman: »Die Wahlverwandtschaften« durch
einen Reisenden geschickt, und war sehr liebenswürdig, wie er davon
sprach. Man sah ihm an, daß ihm daran gelegen hat, Dir eine
Freude zu machen und den Roman von Dir gelesen zu wissen.
Er hielt es selbst für möglich, daß er Dir nicht zukäme, allein schon
der Versuch war ihm wichtig. Er hat auch lange über Deine Be-
schreibung der spanischen Bilder gesprochen. Er nennt es nie
anders wie einen Schatz und die der Raffaelschen ein wahres
Meisterstück, und das sind sie auch. Er sagt, er habe nie Beschrei-
bungen gesehen, die einem so alles geben, das Bild zu beurteilen,
und wieder nur das, was dazu nötig ist. Die der Madonna del

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