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[   Band 3 Brief 114:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 19. September 1809   ]


Ich drücke es manchmal selbst ungern aus, weil ich denke, es
nimmt der Schlichtheit der Empfindung — wenigstens scheinbar —
denn in Wahrheit kann es nie sein — etwas. Aber Du weißt
doch, daß ich auch recht gleich, sogar recht fordernd sein kann.
Auch darf es nicht anders sein, und sobald das wahrhaft tiefe
Verhältnis beider Geschlechter vor der inneren Empfindung gleich-
sam zur Sprache kommt, muß sich oft in das höchste Glück die
Schwermut mischen, die immer die Gegenwart des Unendlichen im
Menschen bezeichnet. Das Höchste erscheint darin aus menschliche
Weise gebunden und befangen, und man muß mit Kühnheit das
Menschliche umfassen, indem man das Himmlische anbetet. Dadurch
leidet oft die Zartheit, oft die Realität der Empfindung. Die
immer unbefangene weibliche Demut und Unschuld fühlt das
nur, wo sie selbst nicht rein und wahrhaft empfunden wird,
aber wenn es der Mann nicht empfindet, ist es meist nur
Mangel an Zartheit, die auch den Besten oft fehlt. Ohne diese
trägt nur das Höchste und Freieste hierüber hinweg, das, was
eigentlich Genie in der Liebe ist, dessen sich aber keiner wohl
anders als in wenigen schönen Momenten der kühnsten Jugend
erfreut.
Aber verzeih, liebe Li, daß ich so viel schwatze. Du bist die
einzige, mit der ich es kann. Es mag wohl und auch hier Frauen
geben, die es verdienten, mit ihnen über minder gleichgültige Dinge
zu reden; ich habe mir, als ich nach Deutschland kam, auch wohl
eingebildet, daß ich solchen begegnen würde, aber das Herz verschließt
sich doch mit den Jahren wunderbar und spinnt sich ein und ver-
steht, nur noch allein zu sein mit sich und den wenigen, die man
seit ewig geliebt hat.
Addio, anima mia. Neulich fand ich in einem Notenbuch
l’anima mia sei tu! Ich hätte weinen mögen, Adelheid sang es
immer so hübsch. Umarme alle Kinder.

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