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[   Band 3 Brief 86:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 16. Junius 1809   ]


von richtigem Urteil und Gefühl. Aber so war er auch immer
schon vorher, alle guten Seiten in ihm haben sich erhalten, aber
auch nicht gerade verstärkt, man sieht jetzt recht, daß er sehr früh
eine abgeschlossene Größe gewesen ist, zu der sich nun nicht leicht
mehr zusetzen läßt. Dagegen hat er durch die Jahre mehr, auch
gar nicht an Liebenswürdigkeit verloren, er ist noch gleich kindlich
und gleich vertrauend, wirklich man kann es nicht genug wieder-
holen, außerordentlich so, wie man wünschen könnte und müßte, es
wären viele in ähnlichen Plätzen so. Rom liegt ihm noch immer
wie mir in den Gedanken. Er hat gleich am ersten Tage mit der
größten Wärme bis auf Gabrielen herunter nach allen Kindern
gefragt. Dann nach allen Bekannten, alle Anekdoten, auch die
kleinsten, sind ihm lieb und wert, den Norden haßt er nach Würden,
und gegen diesen Norden des Nordens hat er Abscheu.
Gestern morgen besahen der König und die Königin von acht
bis elf Uhr eine Pestalozzische Schule, die hier ist, so daß ich die
ganze Zeit mit ihnen allein war. Sie sind beide immer sehr
freundlich und gut mit mir, und die Königin hat mich bei der Ge-
legenheit, daß ich die Kinder singen ließ, wieder sehr mit dem
Musikhaß geplagt. Es ist keine leichte Arbeit, jemanden, der nie
einen solchen Unterricht gesehen hat, hineinzuführen, ohne daß er
sehr staunt, und vielleicht oft lacht. Indes habe ich die Sache sehr
künstlich gedreht, so daß der König gewiß eine gute Meinung von
der Methode bekommen hat. Bei diesem Künstemachen wende ich
mich immer an die Mädchen und verrechne mich nicht. Sie haben
immer mehr Talent und helfen sich leichter als die Knaben.
Von Herzen Adieu! liebe teure Seele. Küsse die hübschen
Mädchen und den Kleinen, den einzigen Mann Deiner Familie dort.
Ewig ganz und allein Dein          H.

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