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[   Band 3 Brief 66:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 21. April 1809   ]


anknüpfen lassen; allein es ist doch gewiß durch alle Stände mehr
Hinneigen und mehr Hängen zu und an Ideen, es ist daher auch
für alles, was auf Ideen beruht (und es ist wieder sehr allgemeine
Stimmung, alles daran zu knüpfen), also für Wissenschaft und Kunst
mehr zu erwarten. Das physische Unglück hat allenfalls freilich
die schriftstellerische Tätigkeit etwas gelähmt, allein nicht die in-
tellektuelle bei den Menschen überhaupt. Diese vielmehr hat, ich
sage nicht durch, aber trotz jener Widerwärtigkeiten, durch den
Fortschritt der Zeit und das Nachwirken des früher Geschehenen
zugenommen. Das zu beobachten ist eigentlich, was mich seit
meinem Eintritt in Deutschland am meisten und angenehmsten be-
schäftigt. Geisteseigentümlichkeit und Mannigfaltigkeit ist hier
überall, im Auslande weniger, auch nicht für den Fremden immer
gleich bemerkbar. Aber darum Deutschland interessanter fürs Leben
darin zu nennen als zum Beispiel Rom, bin ich sehr entfernt.
Das eigentliche Leben ist doch nur in den Ideen und im Idealen,
wenn es nicht zu fromm und mystisch klänge, in Gott und dem
Himmel. Und in diesen lebt man rein und unmittelbar dort, ohne
der mühsamen Leiter sogenannter geistiger Individualität zu be-
dürfen. Harmonie und Schönheit in der leblosen Natur und im
Menschen in dem, was nicht auf einzelnen Ideen beruht, sondern
sich in Gestalt und Leben selbst ausspricht, versetzen unmittelbar
dahin. Dabei bleibt der Geist ruhiger und heiterer, minder ver-
wirrt durch einzelnes, und ist, ohne selbst nur einer Kraftäußerung
gewahr zu werden, höheren Schwunges fähig. Darum segne ich
ewig fort das Geschick, das Dich noch da läßt.
Ich muß schließen, teure Seele. Ewig mit inniger Liebe Dein
H.

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