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[   Band 3 Brief 47:    Humboldt an Caroline    Berlin, 25. Februar 1809   ]


alle Stufen der Menschheit durch. Aber wahr ist’s, daß ich mit
Theodor und mit mir selbst viel weniger Mitleid haben kann, daß wir
hier sein müssen. Mit Theodor aus den bekannten Gründen, und mit
mir, weil ich nun einmal nicht leugnen kann, wie sehr ich mich selbst
darüber ärgere, daß es mir rein unmöglich ist, an einem Ort mit
Menschen und in Beschäftigungen zu leben, ohne nicht die allenfalls
bessere Seite mehr davon zu empfinden, als die schlimmere, noch aus
allem etwas zu machen, und mir einigermaßen darin zu gefallen. Es ist
recht schlecht, aber ich möchte Dir nichts verhehlen, und kann es auch
nicht, da Du diese Seite an mir kennst. Nur das ist gewiß wahr
und wunderbar und daher auch selten von den Menschen verstanden,
daß das mich gar nicht hindert, mit der größesten Klarheit das
weniger Gute zu sehen und die tiefste Sehnsucht nach dem Schönen
zu haben. Aber diese Sehnsucht entspringt mehr aus dem Gefühl
des Schönen selbst, als aus dem eines unglücklichen Zustandes in
mir. Es ist ein armseliges Ding um den Menschen, und ich be-
wundere nur immer die Kraft der Liebe. Recht Liebe zu verdienen,
ist so unglaublich selten, und mit vielen Mängeln, vielen selbster-
kannten Fehlern kann man doch so unendliche und hohe besitzen, wie
ich die Deinige. Glaube mir, liebes, teures Herz, unter allem was
ich empfinde ist das in mir das Klarste, Lebendigste und Wahrste.
Die schwierige Rechnung erfolgt, liebe Li, auf Deinem kleinen
Zettel zurück. Die Küche im Dezember ist, wie ich sehe, sehr gnädig
gewesen. Wie es einst hier gehen wird, weiß Gott! Das Rind-
fleisch kostet hier wirklich vier Silbergroschen das Pfund. Dennoch
erhalte ich, wenn ich mir holen lasse für zwölf Silbergroschen Suppe
mit Rindfleisch und drei andere Gerichte außerdem, was wieder
nicht teuer scheint. Wenn man Wein trinkt, ist es sehr teuer.
Theodor lebt im Bier, denn bei Larochens werden nach aufgehobener
Abendtafel so viel volle Gläser Bier hereingebracht, als Personen
sind. Mich schaudert immer; hier muß ich leiden und mich still

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