< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 3:    Überblick   ]



              Überblick

Der ununterbrochene Briefwechsel zweier Jahre
liegt vor uns. Zwei Jahre schmerzlicher Trennung
standen unvorhergesehen Wilhelm und Caroline
von Humboldt bevor, als sie in Rom in der Nacht
des 14. Oktober 1808 voneinander schieden.
Humboldt ging seiner Privatgeschäfte wegen
auf Urlaub nach Deutschland und nahm den elfjährigen Theodor
mit, um ihn in der Heimat erziehen zu lassen. Er selbst gedachte
nach wenig Monaten bei den Seinen in Rom wieder einzutreffen.
Aber mit seiner Rückkehr nach Deutschland betritt Humboldt
schon die Schwelle seiner staatsmännischen Laufbahn. Noch ehe
er Berlin erreicht, erfährt er Steins Absicht, ihm die Sektion für
Kultus und Unterricht zu übergeben. Humboldt war sich sofort
klar, daß in der tiefen Erniedrigung der Gegenwart hier der Punkt
sei, an dem die Arbeit für die Wiedergeburt Preußens anheben müsse,
daß dem Verlust materiellen Guts nur ein Erstarken der idealen
Kräfte entgegengesetzt werden könne. Er hatte selbst gewünscht,
dem Vaterland zu nützen, und doch sehen wir ihn zaudern.
Wir blicken in einen Konflikt, in den Kampf, in den das
vielgestaltige Leben den Künstler führt, der es als seine erste Pflicht,
als sein heiliges Recht empfindet, seine Begabung auszubilden.
Wilhelm von Humboldt war ein Künstler, und sein Kunst-
werk ist er selbst. Dieser grandiose Egoismus verlangte ein ganzes

                                                                       IX