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[   Band 2 Brief 42:    Humboldt an Caroline    S. Sebastian, 30. April 1801   ]


42. Humboldt an Caroline           S. Sebastian, 30. April 1801

Wir haben zwei unaussprechlich schöne Tage verlebt, teure
Li, ach! warum warst Du nicht mit uns, Du würdest einen
großen, unglaublichen Genuß an den lieblichen Küsten, den
göttlichen Meeresaussichten gehabt haben. Nachdem wir uns mit
großer Mühe gestern früh aus Bayonne losgemacht hatten, ritten
wir nach St. Jean de Luz und brachten den ganzen Tag dort zu.
Wir haben unendlich viel von Dir gesprochen, ich habe die Stelle
wieder besucht, wo wir zusammen saßen und der kleine Theodor sich so
vor dem Meere fürchtete. Aber es waren schon wieder mehr Steine
weggerissen, und man konnte nicht mehr so gut an der äußersten Spitze
sitzen. Das Meer war ruhiger als jenesmal und vielleicht darum
minder schön, aber die Aussicht bleibt immer einzig. Die kleine Bai
ist so malerisch beschränkt, die Hügel um die Stadt sind so freundlich
bewachsen, der Anblick der Gebirge ist so groß, und selbst ruhig drängt
sich das Meer doch immer mit Toben in die enge Mündung. Wir
kehrten noch im Mondschein dahin zurück, der Himmel war göttlich
gestirnt, und das Mondlicht zitterte auf den schwarzen Wellen. Du
erinnerst Dich noch, daß an der rechten Ecke der Bai das Fort
de St. Verbo steht. Auch dahin ging ich diesmal, und die Aussicht
ist unendlich groß. Das Meer ist auf der rechten Seite durch nichts
beschränkt, denn die Ufer weichen mehr zurück; dicht an dem Fort
ist eine Mauer ins Meer einige hundert Schritte hineingebaut, und
die Wellen schlagen nun mit entsetzlichem Tosen an die Ecke des
Felsens und diese Mauer, daß der Schaum sie von einem Ende zum
andern bedeckt. Nirgend sieht man so lebendig ihre zerstörende Kraft.
Sie schlagen in die Klüfte der Felsen, und man hört sie unter seinen
Füßen brüllen. Haben sie den Felsen dann eine Zeitlang so unter-
graben, so stürzt er oben herab, und man sieht dort deutlich große
Stücke, die durch die Wellen losgerissen sind. Der Mann, der mich
da herumführte, sagte mir, daß er noch das Meer viel weiter zurück

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